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Die Lage an der EU-Außengrenze ist schon länger am Eskalieren.

Foto: EPA/REDUAN

Die Flüchtlings- und Migrationspolitik Europas, die in großen Zügen eine Flüchtlings- und Migrantenabwehrpolitik ist, ähnelt zunehmend einem Realität gewordenen Albtraum. Mittels Gewalt und durch Unterlassen von Hilfe halten nationale und EU-weite Sicherheitskräfte Menschen, die keine existenziellen Alternativen besitzen, davon ab, die Union zu betreten.

Dabei sterben Hunderte, und zwar nicht nur vor der italienischen Insel Lampedusa, einer der Hauptschlepperrouten im Mittelmeer. Sondern auch im Atlantik, vor den zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln. Ebenso vor den Eilanden, die Griechenland vorgelagert sind.

Sowie in den Gewässern rund um die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, die an Marokko grenzen, was dieser Tage wieder zunehmend ins Zentrum öffentlichen Interesses rückt.

Grenzsturm am 6. Februar

In Ceuta haben am 6. Februar mehrere hundert Flüchtlinge und Einwanderungswillige, großteils aus dem südlichen Afrika, die Grenzstation El Tarajal zu überrennen versucht. Diese befindet sich inmitten einer martialischen Grenzschutzanlage: Ein dreifacher, mit Infrarotkameras, Bewegungsmeldern und rasiermesserscharfem Nato-Draht bewehrter hoher Zaun verhindert jedes Eindringen in den nordafrikanischen Vorposten des Menschenrechtskontinents.

Mit dem Massensturm konfrontiert, antworteten die marokkanischen und spanischen Polizisten mit Rauchbomben, Platzpatronen und Gummigeschoßen. Letztere können einen Menschen auf kürzere Distanz schwer verletzen, ja töten – doch daran sollen die inzwischen kolportierten 15 ums Leben Gekommenen nicht gestorben sein.

Ertrunken, nicht erschossen

Vielmehr seien dutzende Menschen ins Meer gesprungen und hätten Ceuta schwimmend zu erreichen versucht, heißt es von Seiten des in die Kritik geratenen spanischen Innenministers Jorge Fernandez Diaz. Sie seien nicht direkt beschossen worden, sondern ertrunken, sagte Diaz in Richtung von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, die am 14. Februar – zehn Tage nach den Vorfällen – von den spanischen Behörden Aufklärung verlangte.

Das tat Malmström mit einigem Nachdruck: Der Schutz von Grenzen in die EU habe mit angemessenen Mitteln zu erfolgen, betonte sie. Dabei seien Grund-, Menschen- und Asylwerberrechte zu respektieren. Wie wahr! Nur, dass die Kommissarin außer derlei Appellen wenig in der Hand hat, um auch dafür zu sorgen.

Kommission ohne viel Einfluss

Wenig, um die Verzweiflung jener Afrikaner zu lindern, die nach langen, entbehrungsreichen Fluchten vor Ceuta monatelang auf eine Einreisechance in die EU harren: Über Fragen der Einwanderungspolitik in die EU bestimmen unter der herrschenden Machtverhältnissen in der Union die Staaten – und die sagen Stopp.

Wenig, um das Vorgehen der spanischen Polizei zu beeinflussen, die auf Basis bilateraler Abkommen mit Marokko agiert. Die dort schon seit den 1990er-Jahren mit Grenzsturmversuchen von Migranten und Flüchtlingen konfrontiert ist, zuletzt in Monatsabständen.

Verantwortung der Bürger

Tatsächlich ist die Lage auch an dieser EU-Außengrenze schon länger am Eskalieren, so wie an etlichen anderen europäischen Gestaden und Binnengrenzen auch. Woran das liegt? Dass niemand dagegen wirkungsvoll die Stimme erhebt. Vor allem jene nicht, die das durch Wahlentscheidungen und andere Formen politischer Aktivität könnten: die europäischen Bürgerinnen und Bürger.

Nur sie, also im Endeffekt wir alle, könnten das perfide Spiel der immer mächtiger werdenden Rechten in Europa beenden, die durch Parolen gegen Fremde die schwachen, auf Machterhalt setzenden nationalen Regierungen beeinflussen, sodass deren Repräsentanten auf Unionsebene für noch strengere Einwanderer-Abwehrmaßnahmen votieren.

Dass das nicht geschieht, weil Viele mit Einwanderungsstopps gut zu leben glauben können, ermöglicht eine widerspruchslose, martialische Flüchtlings- und Migrantenabwehr.

Es gilt: Je stärker die Ausländerfeindlichkeit, umso verzweifelter die Lage der Einreisewilligen an den Grenzen. (Irene Brickner, derStandard.at, 16.2.2014)