"Umeå in Nordschweden: jahrhundertelang nur ein Handelsplatz an jener Stelle, an der der Umeälven in den Bottnischen Meerbusen mündet, nun eine aufstrebende Universitätsstadt.

Foto: Umeå 2014 / Shih-Yen Lo

Im Museum Guitars präsentiert sich Umeå bis 28. April als "European Capital of Hardcore": Anhand von Fotos, Videos, Schallplatten und CDs wird die Geschichte von Bands wie Refused, Doughnuts und Final Exit in den 1990er-Jahren nacherzählt.

Foto: Roger Degerman

Im Kulturhauptstadtjahr besinnt man sich der Samen. Sie lebten und leben als Rentierzüchter im Einklang mit der Natur - in einem großräumigen Gebiet, das man "Sápmi" beziehungsweise "Lappland" nennt.

Foto: Henrik Olofsson

Im Winter sitzt man rund um das Feuer, kaut am Rentierschinken, trinkt den mit Käse- würfeln angereicherten, etwas gewöhnungsbedürftigen Kaffee - und hört den Joikern zu.

Bereits 1314 soll Umeå, die diesjährige Kulturhauptstadt Europas, erstmals erwähnt worden sein. Über das Mittelalter weiß die zum 700-Jahr-Jubiläum veröffentlichte Stadtchronik allerdings nichts zu berichten. Umeå war höchstens eine Siedlung, ein Handelsplatz an der Stelle, an der der Umeälven in den Bottnischen Meerbusen mündet. Und daran änderte sich auch nichts in den folgenden Jahrhunderten.

1588 erhielt Umeå zwar Stadtrechte, die Gründung der Stadt rund um eine Kirche misslang jedoch. 1622 folgte ein neuerlicher Versuch, aber erst um 1640 begann sich Umeå zu entwickeln.

Feuersbrünste

1714 und 1720 wurde die Residenzstadt der Provinz Västerbotten im Großen Nordischen Krieg niedergebrannt. Sie erholte sich danach und soll um 1800 etwa 1.000 Einwohner gehabt haben. 1809 gab es wieder kriegerische Auseinandersetzungen mit den Russen; wirklich zerstört wurde Umeå aber von einem Feuer, das seinen Ausgangspunkt in der Brauerei hatte: Am 1. Juni 1888 verloren 2300 der rund 3000 Bewohner ihr Dach über dem Kopf.

Selbst von der Kirche blieben, wie auf einer Fotografie zu sehen ist, nur ein paar Pfeiler stehen. Doch man gab nicht auf. Die Stadt wurde neu konzipiert - am Reißbrett: Der Eisenbahndamm führte im perfekten Halbkreis hinunter zum Ufer des Flusses und bildete quasi die Begrenzung der nur nach Westen hin offenen Stadt.

Auf der einen Längsseite des Fast-Ovals errichtete man den Bahnhof, auf der anderen das Rathaus. Die beiden Backsteingebäude samt Uhr sehen sich nicht nur ähnlich, sie stehen sich genau gegenüber - und damit für ein klares Konzept: hier die Wirtschaft, dort die Politik, miteinander verbunden durch einen geradezu großstädtischen Boulevard, Rådhusesplanaden genannt. Etwas abseits davon die neobarocke Kirche. Kaum eine andere Stadt ist derart geeignet, im Kinderzimmer mit Märklin und Faller nachgebaut zu werden, wie Umeå.

Die Stadt der Birken

Um es künftigen Feuerbrünsten etwas schwerer zu machen, legte man fast alle größeren Straßen als mit Birken bestandene Alleen an. Denn abgesehen von ein paar Fabriken oder Lagerhäusern bestand das Umeå der Jahrhundertwende nur aus Holzhäusern. Bäume gab es hier schließlich zur Genüge. Heutzutage stehen in Umeå angeblich 3.000 Birken. Aufgrund der nördlichen Lage schlagen sie erst Ende Mai aus - und sie verlieren ihre Blätter bereits wieder in der zweiten Septemberhälfte.

Im unmittelbaren Stadtzentrum sind die Holzhäuser längst verschwunden, ersetzt durch nüchterne Zweckbauten, also Bürohäuser, Shoppingmalls (darunter der neue Glaspalast Utopia) und Parkgaragen. Doch bei einem Streifzug wird man sie, diese herausgeputzten Spielzeugland-Villen, zuhauf entdecken: hellblau, sandfarben oder rostrot lackiert, immer mit weißen Fensterlaibungen.

Es gibt sogar einen Anlass für einen solchen Spaziergang. Denn der engagierte Journalist Stieg Larsson (1954-2004), Autor der Millennium -Trilogie, verbrachte seine Jugend in Umeå; natürlich gibt es eine Führung zu all den geschichtsträchtigen Orten: zu dem Haus, in dem er mit seinen Eltern und seinem Bruder wohnte, der Schule, die er besuchte, der Kaserne, in der er seinen Wehrdienst leistete, und dem Lokal, in dem er als Tellerwäscher arbeitete, um sich Geld für seine Reise quer durch Europa zu verdienen.

Mit Schneeschuhen durch Kiefernwälder

Bei diesem Spaziergang wird einem gewahr, wie weitläufig die Stadt mittlerweile ist. Umeå wuchs in den letzten Dekaden rasant: 1960, fünf Jahre vor der Gründung der Universität, zählte man 60.000 Einwohner. 2013 waren es bereits 118.000; fast ein Drittel sind heute Studierende.

Die Stadt ist ein guter Ausgangspunkt für Reisen in den Norden und Ausflüge in die Natur rundum. Man kann mit Schneeschuhen durch Kiefernwälder gehen, bei Bjurholm eine Elchfarm besuchen oder sich von Huskys durch das Tal des Rickleå-Flusses ziehen lassen. Das typische Skandinavien-Outdoorprogramm eben.

In Umeå gibt es aber durchaus lohnende Sehenswürdigkeiten, etwa das Bildmuseet. Es besitzt keine Sammlung, ist daher eigentlich eine Kunsthalle. Zusammen mit der Architekturhochschule, der Kunstakademie und dem Designinstitut, das seit Jahren zu den weltweit führenden Einrichtungen seiner Art gezählt wird, bildet das Bildmuseet ein stimmiges Ensemble, Konstnärligt campus genannt: Henning Larsen ergänzte das gedrungene Gebäude der von ihm entworfenen Universität mit einem turmartigen Bau, ebenfalls aus sibirischer Lärche errichtet.

European Capital of Hardcore

Beim Ausstellungsprogramm achtet man auf eine bunte Mischung aus moderner und zeitgenössischer Kunst, aus nationalen und internationalen Positionen. Bis 11. Mai ist unter anderem eine Retrospektive über die beinahe in Vergessenheit geratene Surrealistin Leonor Fini zu sehen, die sich schon früh mit der Genderproblematik auseinandersetzte.

Zudem wurde zum Auftakt des Kulturhauptstadtjahres in einem alten Industriebau das Museum Guitars eröffnet. Der Name ist Programm: Die Brüder Samuel und Michael Ahdén präsentieren ihre riesige Sammlung klassischer E-Gitarren aus den 1950er- und 1960er-Jahren, darunter die Gibson Flying V und die Fender Broadcaster, von der nur 200 Exemplare hergestellt wurden.

Im letzten Raum kann man auch eine komplette Musikalienhandlung aus dem goldenen Zeitalter des Rock 'n' Roll bestaunen. Und die erste Wechselausstellung (bis 28. April) präsentiert Umeå als "European Capital of Hardcore": Anhand von Fotos, Videos, Schallplatten und CDs wird die Geschichte von Bands wie Refused, Doughnuts und Final Exit in den 1990er-Jahren nacherzählt. Nur für Fans, aber für diese ein Muss.

"Ureinwohner" im Zentrum

Umeå hat auch ein Opernhaus, die 1974 gegründete Norrlandsoperan. Und es gibt einen Skulpturengarten mit Werken von Tony Cragg, Louise Bourgeois, Jaume Plensa, Anish Kapoor und anderen. All das hätte wohl kaum für den Titel Kulturhauptstadt Europas gereicht. Umeå rückte aber geschickt die "Ureinwohner" Skandinaviens ins Zentrum des Programms.

Die Samen lebten und leben als Rentierzüchter im Einklang mit der Natur - in einem großräumigen Gebiet, das man "Sápmi" beziehungsweise gemeinhin "Lappland" nennt. Es erstreckt sich über Norwegen, Schweden und Finnland bis Russland. Ab dem 17. Jahrhundert wurden die Samen, die sich trickreich gegen die Wikinger zur Wehr gesetzt hatten, christianisiert.

Die in den Norden geschickten Siedler erhielten das Recht, das Land ohne Rücksicht auf die "Ureinwohner" zu nutzen, sie durften von diesen sogar Abgaben fordern. Samen wurden gezwungen, in Silberminen zu schuften, oder sie verdingten sich als "Gemeindelappen". Sie trauten sich nicht mehr, ihre Sprache zu sprechen und ihre lautmalerischen "Joiks" zu singen. Erst um 1980 herum begann das Selbstbewusstsein zu erstarken.

Auf Fellen rund ums Feuer

In Gammlia, am Rande des großen Stadtwaldes, liegt das Informationszentrum Samiskt, das unter anderem Vorträge über Religion und Rentierzucht anbietet. Im Freilichtmuseum kann man Koten und Baumhäuser besichtigen. Im Winter sitzt man dann auf Fellen rund um das offene Feuer: Man kaut am Rentierschinken, trinkt den mit Käsewürfeln angereicherten, etwas gewöhnungsbedürftigen Kaffee - und hört den Joikern zu.

Gleich nebenan befindet sich das Västerbotten Museum, das Volkskundemuseum. Hier erfährt man manches über die Stadt, sogar das allererste Automobil des Bezirks, ein Benz-Viktoria von 1899, ist ausgestellt. Ein Apotheker hatte ihn sich gekauft. Doch die damaligen Straßen ließen keine langen Ausfahrten zu: Die Karosse überlebte das 20. Jahrhundert in einer Garage.

Die zweite Dauerausstellung widmet sich den Felsritzungen, die vor allem in der Bronzezeit entstanden sein dürften. Dargestellt wurden Tiere, religiöse Symbole, Bogenschützen - und auch Skifahrer. Lange Zeit glaubte man, bei Umeå die weltweit ältesten Ski gefunden zu haben. Sie wurden auf 3400 v. Chr. datiert. Doch in Russland stieß man auf noch viel ältere (7180 bis 5800 v. Chr.).

Wissenswertes über den modernen Skisport

Das unmittelbar an die Felsritzungen anschließende Schwedische Skimuseum hat trotzdem Charme: Ausgestellt sind neben mehreren prähistorischen "Brettern" diverse Erinnerungsstücke von Ingemar Stenmark, Anja Pärson und anderen Legenden.

Man erfährt auch alles Wissenswerte über den modernen Skisport: Langlauf seit 1843, Skisprung seit 1860 und Torlauf seit 1905, erfunden vom Österreicher Mathias Zdarsky. Hunderte einzelne Ski dokumentieren zudem die technischen Entwicklungen von 1800 bis in die 1980er-Jahre. Auch der RC4 von Fischer wurde in die Sammlung aufgenommen. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 15.2.2014)