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Zum Jubiläum tanzten sie wieder in Sarajevo.

Foto: AP/Emric

Sarajevo/Wien - Am Ende lagen sie ausgestreckt nebeneinander auf dem Eis, der stampfende Boléro-Rhythmus war verklungen. Jayne Torvill und Christopher Dean erhoben sich langsam, ungläubig staunend, fast ein wenig verloren blickten sie in die tobende Menge. Magische vier Minuten und 28 Sekunden hatte der letzte olympische Eistanz von Sarajevo gedauert, vier Minuten und 28 Sekunden, die einen bis dahin eher beschaulichen Sport für immer veränderten.

Jayne Torvill und Christopher Dean waren noch damit beschäftigt, die unzähligen Blumen und Stofftiere von der Eisfläche der Zetra-Halle zu sammeln, da leuchtete auf der Anzeigetafel die historische Benotung auf: Neunmal die ideale 6,0 für den künstlerischen Ausdruck, weitere viermal für die technische Ausführung der Jahrhundert-Kür. Das hat es in einer Sportart, in der Erfolg und Misserfolg nur subjektiv messbar sind, bloß dieses eine Mal gegeben. "Wir haben es gesehen, aber nicht verstanden", erzählte Dean Jahre später: "Wir waren im Tunnel."

Eisige Verzauberung

In diesem Tunnel hörten und verstanden die gelernte Versicherungsangestellte Jayne Torvill (27) und der Polizist Christopher Dean (26) nur eines: die sich langsam steigernden, lauter, immer drängender werdenden Klänge von Maurice Ravels Boléro. Mit der allmählich ansteigenden Wucht der Musik wurden auch ihre Bewegungen auf dem Eis atemloser, intensiver, schneller und immer schneller.

Die beiden Tänzer schwebten über das Eis. Es gab keine Pausen, keine Brüche, kein Schnell, kein Langsam, es gab nur diese eine fließende Bewegung, die mit Ravels Meisterwerk zu einem scheinbar unendlichen Crescendo verschmolz. So jedenfalls hört man immer noch in Sarajevo, was vielleicht auch dem Rückblick durch die Verheerung geschuldet ist - dem Überschwang darüber, dass es gerade dieser geschundenen Stadt vergönnt gewesen ist, so etwas Schönes auf diese Welt gebracht zu haben.

Losgelöst

Mit diesem Tag war jedenfalls der klassische Parketttanz auf dem Eis Vergangenheit. In der Kür werden seither sozusagen verpflichtend auch Geschichten erzählt. Torvill/Dean hatten das schon lange vor ihrem Boléro gemacht, Mack and Mabel 1982 oder Barnum on Ice 1983 waren Fabeln, die sie mit ihrer unvergleichlichen Technik auf das Eis zeichneten. Dass die beiden Briten nach ihrem Olympiasieg auf den Boléro reduziert wurden, empfand vor allem Dean als Fluch und Segen zugleich. Er habe, sagte er einmal, den Rhythmus nie wieder aus seinem Kopf bekommen: "Es ist wie ein Tinnitus."

Dennoch haben sie den Boléro immer und immer wieder gezeigt. Donnerstag, sind Torvill/Dean auf Einladung des Bürgermeisters von Sarajevo an den Ort ihres größten Triumphes zurückgekehrt. Die Eishalle Zetra, im Bürgerkrieg Anfang der Jahre zerstört, wurde originalgetreu wieder aufgebaut, dort zauberten "TD" noch einmal den Boléro auf das Eis. Nach der laufenden Tour Dancing on Ice werden sich Jayne Torvill (56) und Christopher Dean (55) dann für immer von ihrem Meisterwerk verabschieden. "Wir wollen", sagt Dean, "nicht warten, bis sie uns am Ende der Kür auf die Beine helfen müssen." (sid/wei, DER STANDARD, 14.02.2014)