Italien scheint mir oft wie ein italienischer Film zu sein. Das liegt wahrscheinlich daran, dass italienische Filme wie Italien sind. Als Jerry mein "motorino", womit in diesem Fall kein Moped gemeint ist, sondern der Anlasser meines zwanzig Jahre alten japanischen Automobils, als "kaputt" diagnostiziert, gibt er mir auch die Adresse einer Autowerkstatt in Udine die nicht allzu dreist beim Preisbetrug ist.

Dass der Tachometer beim Fahren wild zwischen Zwanzig und Hundertzwanzig zuckt ist mir wurscht. Doch jedes Mal vor dem Anlassen den Anlasser mit einem Hammer zu schlagen und zu hoffen, dass es hilft, ist zu lästig. Ich fahre nach Udine.

Die Benzinbrüder

Die Werkstatt ist im unterirdischen Irrgarten einer Tiefgarage am Stadtrand von Udine versteckt. Ich fahre fast zehn Minuten durch winkelige Gänge, die nur von wenigen Neonröhren beleuchtet sind, bis ich vor einer Hebebühne scharf bremsen muss. Auf der Bühne ist ein Auto und darunter zwei Gestalten. Überall liegen Werkzeuge und Innereien von Autos.

Hier, tief unter der Erde, wo kein Geräusch von der Oberfläche dringt, lösen sich die zwei Gestalten aus dem Schatten und nach wenigen Schritten stehen die Brüder Taviani vor mir. Nur noch älter und mit gleichartigen Oberlippenbärten. Doch dies ist kein Film und die beiden "Tavianis" sind zwei Automechaniker, deren addiertes Lebensalter weit in die Anfänge des Automobilbaus zurückreicht.

"Du brauchst kein neues motorino!" sagt der größere Taviani. "Kein neues Motorino!" repetiert der kleinere Taviani. "Wir reparieren einfach dein altes! Geh und trink einen Espresso, oder zwei und komm dann zurück." Im Weggehen höre ich den kleineren Taviani – "Besser zwei. Und komm dann zurück. Wir reparieren´s." Eine Stunde später werkelt mein japanischer Automotor, kaum dass ich den Schlüssel berühre. "Zwanzig Euro!" sagt der größere Taviani. "Zwanzig!" sagt der kleinere. Ich bin vom Preis so begeistert, dass ich beginne von meinem tanzenden Tachometer zu stammeln. "Tachometer?" - sagt der größere Taviani – "Wer braucht einen Tachometer? Dein Auto fährt doch! Geh jetzt und komm erst wieder, wenn was wichtiges kaputt ist!"

Bevor ich das Fenster hochkurbele und den Motor anlasse höre ich noch den kleineren Taviani: "Tachometer... ". Ich fahre in den Sonnenuntergang auf der alten Straße nach Aquilaea, Richtung Santa Maria La Longa wo zwischen der Rehab-Ambulanz für Drogensüchtige und der Halboffenen Anstalt für geistig Behinderte in unserer kleinen Wohnung meine Freundin auf mich wartet.

Im Hof der Narren

Zu beiden Seiten sind unsere Nachbarn die Familien dreier Brüder aus Bosnien. Über uns wohnt ein serbisches Ehepaar und weiter unten im selben Flügel, Reinhard, der Wiener Zuhälter mit seiner Freundin, die gleichzeitig sein "Pferderl" ist. Noch weiter den Flügel hinab wohnen zwei Schwestern aus Sizilien. Im Flügel gegenüber wohnt Franco mit seiner hundertjährigen Mutter und einer Putzsklavin aus Moldawien, unter ihm eine Familie aus Sardinien. Im Querflügel schließlich, wohnen die Ex-Junkies Sonia und Pierro mit ihren fünf Hunden.

Nach einem Streit um die Reparatur des alten Haustores ergibt sich eine wirre Konstellation von nachbarschaftlichem Nicht-mehr-miteinander-redens, die nicht einmal wir gänzlich durchschauen. Also beschließen wir ein Fest im Hof auszurichten. Weil wir grad Geld haben, kaufe ich kiloweise Meeresfrüchte und Fische und Kistenweise Weinflaschen ein. Dann stelle ich meinen nagelneuen Griller vom Emme-Zetta Supermercato in den Hof und lade alle Hofbewohner zum Essen und Trinken ein.

Doch sie kommen in Gruppen, je nachdem wer mit wem nicht redet. Alles scheint nach einem unsichtbaren Zeitplan zu abzulaufen: Jede Gruppe bleibt gleich lang, isst gerade soviel, dass am Ende alle satt werden. Als ob man alles verabredet hätte...

Der Antifaschist

Während ich für Don Johnny als Begleitfahrer für Schwertransporte arbeite, sitze ich manchmal mit Deodato, dem ehemaligen Carabiniere stundenlang im letzten Auto unseres Konvois. Zu dieser Zeit lese ich eines der ersten Bücher, dass sich mit den Kriegsverbrechen der italienischen Armee auf dem Balkan 1940 - 1943 befasst. Es heißt "Si Ammazza Troppo Poco" Auf Deutsch: "Es wird viel zu wenig getötet". Das sind die Worte, die der italienische Armeegeneral Mario Robotti wählt, um seine Enttäuschung über den Verlauf der Okkupation Sloweniens, Istriens, Dalmatiens und Montenegros auszudrücken.

Dazu meint Deodato, es seien nur die Faschisten, die Schwarzhemden, gewesen, die Kriegsverbrechen begangen hätten. Und die seien schändliche Banditen, zusammen mit dem Oberbanditen Mussolini und seinem Kumpel Hitler. Das Esercito Reale, die königliche Armee hingegen sei eine ehrenhafte und unbefleckte Organisation, die keinem unschuldigen Balkanesen ein Haar gekrümmt hätte. Danach muss ich mir langatmige Elaborate zum Thema anhören, die mit der Schlussfolgerung enden, es sei alles nur ein Komplott der Juden, um mehr Reparationen für den nie stattgefundenen Holocaust herauszuschlagen.

Bald bitte ich Don Johnny mich mit Ettore im ersten Wagen mitfahren zu lassen. Ettore hat den Spitznamen "La Palla", der Ball. Es kann sein, dass er zu diesem Spitznamen kommt weil er rund wie ein Ball ist oder weil er hunderte von Kilometern nur über Fußball redet. Und über Autos und Huren.

Felix Krull von Santa Maria

Reinhard, der Zuhälter aus unserem Hof gibt manchmal seine Geschichte zum Besten. Vor seinem Leben "in der Branche" ist er mit einer Band unterwegs, die es sogar ins chinesische Hochgebirge schafft. Davor ist er Teilnehmer am Jom-Kippur Krieg, wo er sich als Sanitäter meldet weil seine Mutter Jüdin ist. Seinen Kriegsdienst beendet er durch Desertion weil er Folterspuren an den arabischen Gefangenen findet.

Später, als Reinhard schläft, ist sein "Pferderl" betrunken genug, um uns die Wahrheit zu erzählen. Reinhard ist in Italien nur weil er in Wien von so ziemlich jedem anderen Zuhälter verprügelt wird. Seine Band hat nur eine Tournee außerhalb von Wien, als sie in einem Hotel in Dalmatien aufgetreten ist und der Sanitäter aus dem Jom-Kippur Krieg ist sein Bruder. Der Reinhard hasst. Genauso wie Reinhards halbjüdische Mutter ihn hasst.

Wir lachen laut in die Nacht. Und wenn Reinhards "Pferderl" lacht, sieht man die Lücke wo Reihnard ihr vorigen Monat den Zahn ausgeschlagen hat. (Bogumil Balkansky, 17.2.2014, daStandard.at