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Um Enthüllungsjournalismus betreiben zu können, beschäftigt der "Spiegel" 70 Dokumentationsjournalisten.

Foto: Reuters/CHARISIUS

Wien - Am Anfang stand Basra, nämlich falsch. Ein "Spiegel"-Journalist versetzte die irakische Stadt irrtümlich ans Rote Meer. Der Ortsverlegung folgte die Beschwerde; und die mündete wiederum Anfang der 50er-Jahre in den Aufbau eines eigenen Dokumentationsarchivs. Heute umfasst das Recherchezentrum 70 Dokumentationsjournalisten, sie klopfen "Spiegel"-Geschichten auf Fehler ab. Seite für Seite, Ausgabe für Ausgabe. Über eine journalistische Ausbildung verfügen die wenigsten, die meisten sind Fachleute wie Mediziner, Sinologen, Techniker, Physiker, Juristen oder Historiker.

Redaktionsstatut

"Im Zweifel verzichten wir auf die Informationen", sagt Hauke Janssen, "als uns der Gefahr einer Falschmeldung auszusetzen". Was so im Redaktionsstatut verankert ist, werde auch täglich gelebt, versichert er. Janssen leitet seit 1998 die Abteilung Dokumentation beim "Spiegel", am Dienstag gab er bei einer Veranstaltung von fjum - forum journalismus und medien wien Einblicke in die Arbeit seines "Fact-Checking"-Teams.

Beim "Spiegel" ist die Dokumentation in Referate gegliedert – analog zu den Ressorts. In der Datenbank befinden sich über 100 Millionen Presseclippings, die "Spiegel"-Ausgaben sind seit der Gründung der Wochenzeitschrift im Jahr 1947 vollständig digitalisiert. Weiter am Radar: Recherche im Internet, andere Datenbanken und Social Media. Kurz: "Gewissenhafte Verifikation des abgeschlossenen Scripts", heißt das bei Janssen. Mit der Einschränkung des Faktors Zeit, der eine Prioritätensetzung verlangt, denn: Texte kommen oft erst am Freitag um 22 Uhr - wenn der Druckschluss naht. "Da müssen wir gleich wissen, wo der Hase im Pfeffer liegt."

Ausrecherchierte Geschichten

Das Banale ist oft das Komplizierte, sagt Janssen. Namen, Funktionen der Protagonisten und Aktualitätsbezüge müssten stimmen: "Wenn nicht, merkt das jeder Leser." Von den Journalisten erwartet sich die Dokumentation ausrecherchierte Geschichten. "Und zum Checken brauchen wir das Material aus der Redaktion." Zur Verifikation werden dann weitere Quellen angezapft. Was nicht überprüft wird, sind Zitate: "Da telefonieren wir nicht nach und fragen, ob es genau so gesagt wurde." Bei der Übergabe werden die Autoren darauf aufmerksam gemacht, ob Informationen oder einzelne Passagen problematisch sind. Einen Sanktus erteilen sie nicht, die Letztentscheidung sei Sache des Journalisten oder der Chefredaktion.

Faktenrichtigkeit sieht Janssen als "Grundvoraussetzung von gutem Journalismus", Fehler schaden der Glaubwürdigkeit. Recherche sei die Trennlinie zu Informationen, die oft ungeprüft auf Blogs und Social Media-Plattformen zirkulieren. Als Beispiel nennt er den Fauxpas des deutschen Regierungssprechers Steffen Seibert, der nach dem Tod Osama Bin Ladens twitterte: "#Kanzlerin: Obama verantwortlich für Tod tausender Unschuldiger, hat Grundwerte des Islam und aller Religionen verhöhnt." Seibert war jahrelang Fernsehjournalist beim ZDF, bevor er ins Kanzleramt wechselte.

"Münchhausen-Check"

Die Dokumentationsjournalisten sind primär für den Print-"Spiegel" zuständig. Was online stattfindet, ist die Rubrik "Münchhausen-Check". Janssen überprüft hier regelmäßig Aussagen von Politikern und versieht sie mit Noten. Jüngstes Beispiel ist die Ansage von SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles, dass die Pensionsreform der Großen Koalition "Altersarmut in der Zukunft" verhindert werde. Fazit des Faktenchecks: "Frau Nahles hat nicht Wort gehalten: Weder dient die Reform vorrangig der Bekämpfung künftiger Altersarmut, noch bleiben künftige Beitrags- und Steuerzahler unbelastet." Note: Ungenügend (6). (omark, derStandard.at, 12.2.2014)