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Der Wunsch nach einem geplanten Kaiserschnitt muss ernst genommen werden, so Martin Langer.

Foto: AP/Annette Zoepf

Martin Langer ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Wien und ausgebildeter systemischer Psychotherapeut. Er leitet die Station für Risikoschwangerschaften im AKH Wien.

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In Wien kommen mehr als 30 Prozent der Kinder per Kaiserschnitt zur Welt. Das soll sich ändern – Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) will mit verbesserter Information die Rate auf 20 Prozent senken. Der Wiener Gynäkologe Martin Langer sieht die Sectio caesarea zu Unrecht verteufelt.

derStandard.at: Was sind Gründe für den Trend zum Kaiserschnitt?

Langer: Schwangere sind heute älter, kränker und haben infolge der Reproduktionsmedizin häufiger Zwillingsschwangerschaften als früher. Die Operationsmethode ist deutlich vereinfacht worden, und auch gesellschaftliche Veränderungen wie die veränderte Bewertung von Risiken haben zu diesem Trend geführt.

derStandard.at: Was spricht gegen eine geplante Sectio?

Langer: Außer dem fehlenden Geburtserleben: wenig bis nichts. Die betroffenen Frauen bekommen routinemäßig Antibiotika und eine Spinalanästhesie, sind also während der Operation wach. Der Aufwachraum wird in unserem Haus etwas abgedunkelt, um eine freundliche Atmosphäre zu erzeugen. Der Partner ist dabei, und die Eltern können das Kind sofort sehen. Drei Stunden nach der Operation ist die Mutter schmerzfrei und kann diese wichtige Bindungsphase wach und schmerzfrei erleben.

derStandard.at: Ungeachtet dessen ist der Kaiserschnitt aber doch ein operativer Eingriff ...

Langer: Ja, hier wird aber Operation mit Risiko gleichgesetzt. In dem veröffentlichten Artikel postet ein User, dass nicht nur über die Risiken eines Kaiserschnitts mehr aufgeklärt werden muss, sondern auch über die Risiken einer Spontangeburt.

derStandard.at: Die Gebärmutter wird aber doch eröffnet und auch wieder genäht. Hat das für eine folgende Schwangerschaft keine Konsequenzen?

Langer: Früher hat man die Uterusruptur sehr in den Vordergrund gestellt, aber dieses Risiko liegt im kleinen einstelligen Prozentbereich, also zwischen 0,5 und zwei Prozent. Ein Problem, das jedoch infolge eines Kaiserschnitts auftreten kann, sind sogenannte Plazentationsstörungen bei einer Zweitschwangerschaft. Dabei wächst die Plazenta in die Gebärmuttermuskulatur ein und wird zu einer Placenta accreta, increta oder im schlimmsten Fall zu percreta.

derStandard.at: Trotzdem ist die Spontangeburt nicht risikoärmer als der Kaiserschnitt?

Langer: Absolut nicht. Das Risiko für Mutter und Kind ist bei einer natürlichen Geburt ungleich größer als bei einem Kaiserschnitt. Das Problem ist, dass der Begriff "natürlich" mit "ungefährlich" gleichgesetzt wird. Eine natürliche Geburt ist keineswegs ungefährlich. Gegen diese Ideologie, dass etwas, das natürlich ist, automatisch gut und ungefährlich ist, verwehre ich mich.

derStandard.at: Was sind die Risiken einer Spontangeburt?

Langer: Die Schädigung des Beckenbodens, Dammriss, Dammschnitt, Harn- und Stuhlinkontinenz. Dann natürlich der sekundäre Kaiserschnitt nach Wehenbeginn - und in letzter Konsequenz, wenn dieser Notfallkaiserschnitt nicht gut und rechtzeitig gemacht wird, kann es auch zu einer Schädigung des Kindes kommen. Bei der geplanten Sectio ist unter den Bedingungen, die ich vorher skizziert habe, das Risiko für das Kind praktisch null.

derStandard.at: Angeblich beeinträchtigt ein Kaiserschnitt auch die Fruchtbarkeit der Mütter, und die Kaiserschnittkinder sollen ein erhöhtes Allergie- und Asthmarisiko besitzen.

Langer: Diese Studien sind alle widerlegt. In Skandinavien wurden in diesem Zusammenhang spontan geborene Geschwisterkinder untersucht. Kaiserschnittkinder und Geschwister, die spontan zur Welt kommen, haben ein identes Risiko, an Asthma oder einer Allergie zu erkranken.

derStandard.at: Warum will die Gesundheitsstadträtin unter diesen Voraussetzungen die Kaiserschnittrate senken?

Langer: Vor drei Jahren hat Gesundheitsminister Alois Stöger bereits eine Arbeitsgruppe mit dem Titel "Senkung der Kaiserschnittrate" einberufen. Interessant ist dabei, dass die Kaiserschnittrate immer gesenkt werden soll, unabhängig davon, wie hoch diese gerade ist. Als ich vor vielen Jahren mit meiner Tätigkeit als Gynäkologe begonnen habe, waren in der Semmelweisklinik fünf Prozent aller Geburten Sectiones und im Wiener AKH zehn Prozent. Auch damals haben schon viele beklagt, dass das zu viele sind.

derStandard.at: Wann taucht der Wunsch nach einem Kaiserschnitt auf?

Langer: Nehmen wir zwei sehr unterschiedliche Patientinnen: die 25-jährige Erstgebärende, die eine größere Familie plant und nur aus Angst vor Schmerzen oder allgemeiner Unsicherheit eine Sectio wünscht. Diese Frau sollte gut über die Möglichkeiten der Schmerzausschaltung durch eine Periduralanästhesie und die hohe Wahrscheinlichkeit einer geglückten Spontangeburt aufgeklärt werden.

Die 42-jährige Patientin, die nach mehreren IVF-Versuchen ein Kind bekommt und absolut kein Risiko eingehen will, wird den Spätfolgen der Sectio eine verschwindend geringe Bedeutung zumessen.

derStandard.at: Geben Sie dem Wunsch nach?

Langer: Für beide Frauen gilt: Der Wunsch nach einer Sectio sollte unbedingt ernstgenommen und nicht bagatellisiert und infantilisiert oder gar psychotherapeutisch wegtherapiert werden. Beim geplanten Kaiserschnitt geht es auch um das Selbstbestimmungsrecht und die autonome Entscheidung der Frauen, das gerade in dieser Frage nicht relativiert werden soll.

Zu glauben, dass etwas, das eine derartige weltweite Steigerungsrate zeigt wie die Sectio, durch irgendwelche Medienkampagnen verhindert werden kann, ist unrealistisch. Der Kaiserschnitt entspricht einem natürlichen Bedürfnis von Frauen und sollte respektiert werden. (Regina Walter, derStandard.at, 19.2.2014)