Das wirkt nach: Wie sich die brasilianische Ballerina Marlúcia do Amaral in Martin Schläpfers Solowerk "Ramifications" zur Musik von György Ligeti bewegt.

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Ans Licht kippt das Verborgene bei Angelin Preljocaj.

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Das Wort "Apokalypse" lässt niemanden kalt. Im täglichen Sprachgebrauch wird es mit Bedeutungen wie "Untergang" oder "Weltende" verbunden, und dabei kann manchen schon ein kühles Schaudern überkommen. Aber wie das nun einmal so ist mit der allen möglichen Übertragungsfehlern ausgelieferten Alltagssprache, steckt auch bei der Apokalypse der Teufel im Detail ihres "eigentlichen Sinns".

Auf dieses Detail greift der weltbekannte französische Choreograf Angelin Preljocaj, der im Jänner seinen 57. Geburtstag gefeiert hat, in seinem großen Gruppenstück And Then, One Thousand Years of Peace zu. Apokalypse meint im Griechischen "Entschleierung", also die Enthüllung von etwas. Das hat noch nicht viel mit der biblischen Offenbarung des Johannes zu tun, die als symptomatisch für die Sehnsucht der frühen Christen nach dem Weltenende und dem Jüngsten Gericht steht.

Eher schon mit Apocalypse Now, dem berühmten Vietnam-Film von Francis Ford Coppola (1979), in dem Marlon Brando als Colonel Kurtz eine Orgie der Gewalt und einen blutigen Tanz heraufbeschwört.

Auf den ersten Blick mag die Verbindung zwischen Coppola und Preljocaj schleierhaft erscheinen. Aber bereits bei einigem näheren Hinsehen enthüllt sich da eine Art innerer Verwandtschaft. Coppola arbeitete in seinem Klassiker an einer Ästhetisierung der Gewalt und einer Choreografie des Irrsinns, in den der Krieg jene treibt, die sich von ihm instrumentalisieren lassen. Wie keine andere Tanzform kann das Ballett mit seinen zuweilen als militärisch diszipliniert angesehenen Körpern genau diesen Irrsinn enthüllen und so erlebbar machen.

Was einst in den maoistischen Revolutionsballetten so wörtlich genommen wurde, kommt im post- und neomodernen Ballett als oft dunkle Metapher daher: Strikt anmutende Formationen, die immer wieder an den Rand des Zerfalls geraten. Düstere Atmosphären. Spitze, splittrige Bewegungen von einer mehr als selbstgenügsamen Virtuosität. Damit wird immer öfter auf die Getrieben- und Geworfenheit des Subjekts in seinen gefährlichen Umgebungen verwiesen.

Zur Musik des Technospezialisten Laurent Garnier, der einst die Madchester-Szene auf den Weg brachte, die uns in den Nineties das Rave beschert hat, führt Preljocaj in der Bühne von Suboth Gupta und dem Licht von Cécile Giovansili tänzerische Enthüllungen vor. Dem ganz ähnlich enthüllt eine Tänzerin in Martin Schläpfers Solochoreografie Ramifications ("Auswirkungen") die inneren Zerrissenheiten der Figur, die sie verkörpert. Die dieser Arbeit zugrunde liegende Musik stammt von György Ligeti.

Mit einem dreiteiligen Abend stellt Schläpfer, der um zwei Jahre jünger ist als Preljocaj, das von ihm überaus erfolgreich geleitete Ballett am Rhein im Festspielhaus St. Pölten vor. Die beiden anderen Arbeiten sind Gruppenstücke: Drittes Klavierkonzert zur Musik von Alfred Schnittke und Ungarische Tänze zu Klängen von Johannes Brahms. Die Letzteren lassen auch eine Botschaft an die Politik von Viktor Orbán erkennen. (Helmut Ploebst, Spezial, DER STANDARD, 13.2.2014)