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Christian Gabriel: "Das Rote Kreuz zieht sich langsam aus der Kooperation mit Kulturvereinen heraus und wirbt dort schon länger nicht aktiv um Blutspenden."

Foto: dpa/Felix Heyder

Das oberösterreichische Rote Kreuz hat vor kurzem ein Blutspendeangebot der islamischen Religionsgemeinde Linz abgelehnt, da hier das Hepatitis-B-Risiko zu hoch sei. daStandard.at hat den ärztlichen Leiter der Blutzentrale Linz, Christian Gabriel, über die Zusammenhänge zwischen Religion, Migration und Blut befragt.

daStandard.at: Handelt es sich bei der Ablehnung der Blutspende des islamischen Vereins in Linz um eine eigentümliche Einzelentscheidung einer Ärztin, die nun das gesamte Rote Kreuz decken muss?

Gabriel: Nein. Ich möchte zunächst festhalten, dass die Ärztin, die mit der islamischen Religionsgemeinde kommuniziert hat, auf gar keinen Fall diskriminierende Absichten hatte. Sie hat selbst eineinhalb Jahre in der Türkei gelebt und ist sensibilisiert für das Thema. Dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen.

daStandard.at: Aber hier wurde Zusammenarbeit verweigert, während es in vielen Bundesländern problemlose Kooperationen zwischen Glaubensgemeinschaften, Kulturvereinen und dem Roten Kreuz in Sachen Blutspenden gibt.

Gabriel: Das Rote Kreuz hat gewisse Grundsätze. Dazu zählen auch Neutralität, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Menschlichkeit. Leider stehen diese Grundsätze zeitweise im Konflikt mit teilweise rigorosen Gesetzen. Wir werden laufend streng von der EU überprüft und müssen eine hohe Qualität sowie die Gesundheit der Patienten garantieren.

daStandard.at: Inwiefern stellen Muslime ein Risiko für die Qualität der Blutspendekonserven dar?

Gabriel: Wir haben bereits Erfahrungen mit verschiedenen Kulturvereinen aus dem südosteuropäischen Raum gemacht. De facto sind alle diese Kooperationen schiefgelaufen. Bei einigen Blutspendeaktionen haben wir eine Hepatitis-B-Prävalenz von über 40 Prozent festgestellt.

daStandard.at: Wie hoch ist diese Rate bei der "einheimischen" Bevölkerung ohne Migrationserfahrung?

Gabriel: Hier liegt die Hepatitis-B-Prävalenz etwa bei zwei Prozent. Das heißt, man müsste einen überproportional hohen Anteil der Blutkonserven aus der Zusammenarbeit mit Kulturvereinen wegwerfen.

daStandard.at: Trotzdem, der Großteil ist brauchbar. Gibt es nicht regelmäßig Engpässe bei der Versorgung? Außerdem könnte man Menschen, bei denen im Zuge der Blutspende Hepatitis B festgestellt wird, vielleicht zu einer Behandlung verhelfen.

Gabriel: Allerdings. Aber wir wollen auch nicht verlogen sein. Eine Aktion, die nicht hilft, ist auch nicht gut, und das wollen wir auch so kommunizieren. Würden wir stillschweigend Konserven wegschmeißen, käme wahrscheinlich auch daran schnell Kritik: Warum hält sich das Rote Kreuz mit ineffizienten Maßnahmen auf?

daStandard.at: Wieso gibt es diese Bedenken nicht bei Blutspenden des Bundesheers? Dort gibt es auch muslimische Grundwehrdiener und Soldaten.

Gabriel: Es gibt hier einen großen medizinischen Unterschied zwischen den Generationen. Die erste Gastarbeitergeneration mag vielleicht wegen des Risikos in ihrem Herkunftsland chronische Hepatitis B haben, doch bei Migranten der zweiten und dritten Generation kann das schon anders aussehen. Ein Mensch, der seit Geburt vom österreichischen Gesundheitssystem - ich möchte nicht sagen - überwacht ...

daStandard.at: Begleitet?

Gabriel: ... begleitet wird, hat viel weniger wahrscheinlich Hepatitis-B-Antikörper im Blut. Aber es ist schwierig und mitunter beleidigend, während Kulturvereins-Spendenaktionen, bei denen oft auch die ganze Familie kommt, zu sagen: Ja, danke, die Tochter nehmen wir, auf die Mutter können wir aber verzichten.

daStandard.at: Warum gibt es hier keine einheitliche Praxis innerhalb des Roten Kreuzes? Man könnte es so herunterbrechen: Entweder das oberösterreichische Rote Kreuz ist rassistisch und diskriminierend, oder alle anderen Landesorganisationen handeln fahrlässig.

Gabriel: Diese Hauspolitik gibt es seit etwa vier Jahren. Die türkischen beziehungsweise muslimischen Kulturvereine sowie Glaubensgemeinschaften wollten erst später bei uns einsteigen als etwa kroatische und serbische Vereine - als die Entscheidung dagegen eigentlich schon gefallen war.

Bei einer Zusammenkunft im Oktober 2013 wurde dieses Thema innerhalb des Roten Kreuzes diskutiert. Ähnliche Probleme finden sich etwa in Salzburg, Vorarlberg und Wien. Diese Entscheidung ist durchaus auch als Ansage für die Zukunft zu verstehen. Das Rote Kreuz zieht sich langsam aus der Kooperation mit Kulturvereinen heraus und wirbt dort schon länger nicht aktiv um Blutspenden.

daStandard.at: Wie steht es mit Blutspenden von Menschen aus anderen Erdteilen?

Gabriel: Es gibt etwa die gesetzliche Regelung, keine Blutspenden von Menschen anzunehmen, die in einem Malaria-Gebiet geboren sind. Das bedeutet, dass zum Beispiel niemandem aus Indonesien eine Blutspende abgenommen werden kann, obwohl zum Beispiel Jakarta nun wirklich kein Risikogebiet mehr ist. Da hat sich gesellschaftlich und medizinisch einiges verändert, aber die Gesetzeslage ändert sich nicht. Das ist wirklich rassistisch.

daStandard.at: Aber in der Türkei gibt es bestimmt einen ähnlich großen Unterschied zwischen Istanbul und dem ländlichen Anatolien. Liegt es nicht in der Verantwortung des Gesundheitssystems, sich auch diesem Problem der Hepatitis-Prävalenz zu widmen?

Gabriel: Das ist eine politische Frage.

daStandard.at: Die höhere Hepatitis-Rate ist bei der generellen Benachteiligung von MigrantInnen im Gesundheitssystem nicht überraschend. Sie sind häufiger ärmer, leben ungesünder, gehen seltener zu Vorsorgeuntersuchungen, haben öfter chronische Leiden und größere Diabetes- sowie Herzkrankheitsrisiken.

Gabriel: Allerdings, und da hat die interkulturelle Medizin noch viel zu tun. Auch Sprachbarrieren und kulturellen Unterschiede mischen hier mit. Aber Tatsache ist, dass es im Rahmen der Blutspendeaktionen momentan für Risikogruppen nur die Möglichkeit eines Vorabtests gibt, die aber von den meisten Vereinen abgelehnt wird. (Olja Alvir, daStandard.at, 12.2.2014)