Am 2. Februar 1974 gab es Playmobil-Figuren zum ersten Mal zu sehen. Es waren dies ein Bauarbeiter, ein Indianer und ein Ritter.

Foto: Playmobil

Heute bevölkern über zweieinhalb Milliarden ihrer Nachkommen den Planeten, 4.000 Figurenvarianten sind seit 1974 entstanden.

Foto: Playmobil

Ein Skizzenblatt von Hans Beck aus dem Jahr 1971.

Foto: Playmobil

Der König der Tiere hatte keine Chance. Auf dem Weg zur stolzen Arche des Noah trabte ein Löwen-Pärchen. Beides Buben. Schön für die zwei, gerettet vor der Sintflut. Sie wären die Letzten ihrer Art gewesen, ein Leben bis zur Rente ohne Junge.

Die kuriose Geschichte von den Großkatzen aus dem Alten Testament spielt auf einem Playmobil-Karton, in dem ein Mikroset steckte. Superkleine Figürchen zum Spielen für die normalen Plastikwichtel. Nachdem Fans das Malheur der Firma meldeten, betraten dann ein Männchen mit Mähne und ein Weibchen ohne Wallehaar das Schiff des Noah. Über die heitere Verwechslung aus dem Jahr 2006 lachen die Playmobil-Manager inzwischen, und die Sammler zahlen für die Originalverpackung mit dem prächtigen Männerduo hunderte Euro.

Die Löwen sind nur zwei von über zweieinhalb Milliarden Playmobil-Figuren, die seit 40 Jahren Kinderzimmer auf der ganzen Welt bevölkern. Erdacht wurden sie im fränkischen Zirndorf, in der Playmobil-Zentrale, der Geobra Brandstätter GmbH.

Die Kunststoffkerle, Klickys genannt, sind allesamt siebeneinhalb Zentimeter groß, mit genormtem Dauerlächeln und schlicht mit Einheitsgesicht und -frisur versehen. Später gibt's dann bewegliche Köpfe, Arme, Hände und Beine, sogar einhängbare Bärte und eingestanzte Brillen. Ein Systemspielzeug, das System hat und dessentwegen Kinder am Rockzipfel der Eltern quengeln, um für Zuwachs für die Figürchensippe zu betteln.

Ein Bauarbeiter, ein Indianer und ein Ritter

Der Vater der Kleinwüchsigen, Hans Beck, zeichnete schon 1971 erste Skizzen von den Minimenschen, die in jede Kinderhand passen. Die kleine Knollnase, die der gelernte Möbelschreiner aus Thüringen markant mitten ins Gesicht zeichnet, verschwindet später. Sein Boss, Horst Brandstätter, weiß damals noch nicht, dass die Bleistiftentwürfe der kleinen Strolche wenig später seine Firma retten würden. Die Firma Geobra machte Anfang der 1970er-Jahre in Deckenverkleidungen, Kindermöbeln und Hula-Hoop-Reifen. Dann schoss der Ölpreis durch die Decke, und statt bulliger Kindermöbel setzten die Bayern nun auf bauchiges, blau eingepacktes Kinderspielzeug.

Horst Brandstetter und Hans Beck im Jahr 1974 mit Neuheitenmustern.
Foto: Playmobil

Die Story der Plastikschelme beginnt allerdings zäh. Auf der Nürnberger Spielwarenmesse warten seit dem 2. Februar 1974 am Stand der Bayern ein Bauarbeiter, ein Indianer und ein Ritter auf leuchtende Augen von Besuchern und auf Geschäftsleute. Tagelang umsonst. Erst in den letzten Stunden der Schau schlendert der damalige König der Spielwarenhändler, Hermann Simon, lässig mit Zigarre im Mund an den Regalen vorbei und stutzt.

Können diese kindlichen Bauarbeiter mit ihren Sicherheitshelmen, Spitzhacken, Schubkarren und der halbleeren Bierkiste die neue Spielewelt der Kinder sein? Simon hört auf seine innere Stimme und ordert wenig später Plastikfiguren im Wert von insgesamt einer Million D-Mark. Der Kontrakt beendet Horst Brandstätters Misere. Der Chef legt voller Elan los und lässt seine Männchen nun auch in Fernsehspots werben, schaltet Anzeigen in Comic-Heften wie Micky Maus und Fix und Foxi.

Die Firma war gerettet

Alles scheint bestens zu laufen. Die kleinen Figuren haben die Firma gerettet, immer mehr Händler nehmen Playmobil in ihr Programm auf, und jetzt sind Kinder, Eltern und Großeltern offenbar geradezu verrückt nach den Plastikrittern samt Harnisch und Schwert oder dem Piratenschiff. Doch zu oft schüttelt die Verkäuferin hinter dem Ladentisch resignierend den Kopf und erklärt: "Ist nicht da."

Da die Kunden wenig verzückt waren, dass in den Hallen in Zirndorf zwar rund um die Uhr aus Plastikmasse Plastikfiguren purzelten, sie aber in den Geschäften trotzdem vertröstet wurden, schrieben die Angestellten aufmunternde Briefe. "Lieber Kunde", so stand da, "die Nachfrage nach Playmobil-Produkten übertrifft alle üblichen Maßstäbe. Augenblicklich sehen wir uns außerstande, alle Ihre Wünsche zu erfüllen."

Ein solches Malheur mit den Grundgesetzen der Markwirtschaft sollte den Bayern nie wieder passieren. Die Umsatzkurve schließlich steigt und steigt, und seit 2004 gleicht sie überhaupt einer steilen Gipfelfahrt. Von 359 Millionen klettern die Umsätze auf 531 Millionen Euro. Die Buchhalter vermelden 2013 immer neue Rekorde: 61 Millionen versendete Verpackungen, der Marktanteil wächst.

Und die Sache mit dem Plastik? Klar runzeln besorgte Eltern bei Plastikspielzeug auch die Stirn. Playmobil selbst setzt auf das "eigene Generationenrecycling". Die Figuren würden nicht weggeworfen, sagt Geobra-Chefin Andrea Schauer, "sondern gehen entweder auf dem Flohmarkt zur nächsten Kindergeneration über oder werden auf dem Dachboden für die kommenden Jahrgänge aufbewahrt". Die in Deutschland unbestechlichen Prüfungsorganisationen wie Stiftung Warentest oder Öko-Test bescheinigten denn Bayern tatsächlich ein "gut" oder "sehr gut".

Verpackungen aus dem Jahr 1974.
Foto: Playmobil

Von der Steinzeit in den Weltraum

Nicht nur aus Zirndorf, Dietenhofen und Selb, sondern auch aus dem tschechischen Cheb, dem spanischen Onil und aus Hal Far auf Malta kommt das Spielzeug. Neben den Urahnen Pirat, Bauarbeiter und Indianer toben in den Kinderzimmern mittlerweile Plastikmännchen und Plastikweibchen aus aller Herren Ländern und Zeitepochen, ob Eskimos, Wikinger oder Römer. Und fast täglich werden es mehr.

Andrea Schauer weiß, wie wichtig Neues in den Regalen ist. Ungefähr die Hälfte des Umsatzes machen die Franken mit den Neukreationen der Saison, vor allem den typischen Spielewelten. Das sind je nach Thema Burgen, Bauernhöfe oder Baustellen mit Plastikmenschen, Tieren, Häusern, Fahrzeugen und allerlei Krimskrams. Jedes Jahr wächst die Welt der Wichtel. Die Minis tummeln sich in der Steinzeit, im Shoppingcenter oder in der Schule, feiern Weihnachten, fliegen in den Weltraum und fighten als gehörnte Wikinger.

In 40 Jahren ist dabei manches zum Klassiker geworden. Es sind "das Piratenschiff oder das Ritterschloss, die die Kinder aus Geschichten und Medien kennen und mit denen sie gerne spielen wollen", sagt Axel Dammler, Chef des Münchener Forschungsinstitutes Iconkids & Youth. Der übergroße Erfolg hat System.

Das Geschäft mit Ergänzungen

Zum Geburtstag oder Weihnachten gebe es "meist von den Eltern ein großes Geschenk wie das Schloss", so Dammler. Großeltern, Tanten und Onkels und Freunde kaufen dann "viele kleine Sachen wie ein königliches Schwanenzelt oder die Hofdame dazu". Es ist ein ewiges "das fehlt mir noch". Zur Magierwerkstatt ist eigentlich zwingend noch der fliegende Teppich und natürlich der Magier selbst mit Flaschengeist samt Heilerfee mit Einhorn Nachtsaphir dringend nötig. Zu viele Geburtstage und Weihnachten kann es im Leben eines Zielgruppenkindes gar nicht geben.

Dafür dürfen die Kleinen selbst Kreative sein. Die Karten und Briefe der Kinder wandern nicht gut gelocht in einen Ordner, sondern sind Inspiration für neue Kreaturen. Es sei ein "Knochenjob, sich in die Köpfe der Kinder hineinzudenken", sagt Andrea Schauer. Über neue Ideen könne man nicht in Managermanier am Schreibtisch entscheiden. Man müsse runter auf den Teppichboden, lacht Schauer, "und mitspielen". "Wir erforschen, was die Kinder zum Beispiel an der Ritterburg vermissen." Mal sei es der Wassergraben, mal der Mauerdurchbruch.

Rivale Lego

Doch der Spaß der Süddeutschen beim Tüfteln hört auf, wenn die Konkurrenz mitspielt. Als das Fürther Unternehmen BIG 1975 größere Figuren, die wie ein Remake der Playmobil-Männchen aussahen, auf den Markt brachte, zogen die Zirndorfer sofort vor Gericht. Den Streit vor den Schranken des Gerichts verloren sie zwar, BIG stellte seine Produktion aber vier Jahre später ein. Nur wenige wollten das erkennbare Plagiat der Fürther.

Der offensichtlich schärfste Rivale von Playmobil im Kampf um Platz 1 im Regal ist Lego, obwohl beide in der Umsatzstatistik meist hinter den Amerikanern von Mattel mit ihren Barbiepuppen, Batmans und Polly-Pocket-Figuren landen. Vielleicht auch, weil die beiden einiges gemeinsam haben. Wie bei Playmobil war ein Meister des Holzes der Erfinder, nämlich der Tischler Ole Kirk Christiansen. Und wie bei den Zirndorfern fast fielen die dänischen Legosteine auch auf der Nürnberger Spielwarenmesse "als für den deutschen Markt völlig ungeeignet" durch. Das war 1955.

Letztendlich jedoch ging und geht es um die Frage: Bist du ein Playmobiler oder ein Legojaner? Da kennt auch die Diskussion in Internetforen kein Ende.

Zeitlos cool, auch für Mädchen

Auch wenn Playmobil mit seinen Fun-Parks in Zirndorf, Paris, auf Malta, in Athen und Palm Beach das erfolgreiche Legoland-Konzept als überdimensionales Spielfiguren-Theater übernommen hat, gehen die Deutschen bei den VIPs andere Wege als die Dänen. Während Lego zu erfolgreichen Filmen wie Star Wars, Harry Potter oder Pirates of the Caribbean die Helden in Miniatur herausbrachte, lehnte man bei Playmobil diese Deals stets ab. Das sei viel zu teuer, und außerdem "überlebt sich dieses Spielzeug schnell".

Dem gibt Spielwarenexperte Axel Dammler recht. Ein Jack Sparrow von Lego sei vielleicht ein, zwei Jahre cool, "aber der Playmobil-Pirat ist immer cool". Für Dammler ist aber klar: "Wenn Playmobil ein Raumschiff herausbringt, dann ist es schwer, mit dem Star Wars-Raumschiff von Lego zu konkurrieren." Bei Lizenzen gehe das "Muss ich haben" fast automatisch vom jeweiligen Film aus, während es für Playmobil schwieriger sei, einen Hype um seine Themenwelten zu inszenieren.

Playmobil setzt lieber auf Themen- als auf Filmwelten.
Foto: Playmobil

Der Playmobil-Planet war am Anfang eine Welt der Buben. Mittlerweile ziehen auch Mädels freudestrahlend durchs Shoppingcenter und kombinieren Frisuren, Kleidung und Schuhe für ihre Figürchen. Immerhin haben es die Bayern geschafft, dass ein Drittel der Playmobil-Universen in Mädchenzimmern steht. Anders als beim Konkurrenten Lego. Die Dänen bleiben ein Buben-Imperium.

Hinaus in die virtuelle Welt

Unterm Strich haben aber alle dasselbe Problem: Die Kinder wollen für immer kürzere Zeit Kinder sein. Deshalb ziehen die Plastikhelden in den letzten Jahren zunehmend vom Teppich im Kinderzimmer hinaus in die virtuelle Welt. Gerade noch war Lego den Bayern auf die Spielkonsolen und ins Netz enteilt, bestehen nun auch die Playmobil-Heroes brenzlige Momente bei Online-Spielen wie "Radau auf dem Bau", "Pflanz mit Hans" oder "Kleine Panne in der Savanne". Die Kinder vor dem Monitor sind mal tapferer Ritter, mal zauberhafte Fee, mal mächtiger Magier. Pädagogisch wertvoll gibt die Hintergrundstimme den Tipp "Vieles gelingt dir allein, aber mit Freunden geht vieles besser".

Ein Kalkül für die Spielewelt im Web setzt vor allem auf die Neun- und Zehnjährigen, die schon vor dem Computer hocken. Älter werde man in erster Linie mit älteren Erlebniswelten, warnt dabei Experte Axel Dammler.

Wenn im Western der junge Indianer "Treue Tatze" vom Häuptling "Weißer Waschbär" zum Krieger ernannt wird, weil er den Steppenkojoten von Zecken befreit hat, ahnt man, das läuft anders als bei John Wayne oder Pierre Brice, und wähnt sich in einer weitestgehend heilen Plastikwelt, in der höchstens mal der Pirat seinen Säbel zieht und der Ritter sein Schwert. Sieben- bis Neunjährige würden zwar noch mit Cowboy und Rittern spielen, aber "sie kaufen keine weiteren mehr nach".

Also kämpfen die Plastikhelden auch als Superagenten. Mit Spionagekamera inklusive Farbmonitor, elektronischer Alarmanlage und ausfahrbaren Raketenwerfern. Gewaltfreiheit, so wie sie Playmobil einst für sein Sortiment propagierte, "funktioniert am Markt nicht mehr so", sagt Dammler. Früher älter wird also auch die Spielzeugkiste. (Oliver Zelt, Rondo, DER STANDARD, 14.2.2014)

>> Diashow: 40 Jahre Playmobil

Foto: Playmobil