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Das Schweizer Referendum hat auch Auswirkungen auf die Freizügigkeit von Personen und Handelsgütern.

Foto: Reuters/Denis Balibouse

Die EU will "Rosinenpickerei" nicht dulden.

In einer ersten Reaktion zur Volksinitiative zur Wiedereinführung von Ausländerlimits in der Schweiz hatte die EU-Kommission als "Hüterin der Verträge"  der Gemeinschaft noch sehr verhalten reagiert: Man bedauere das Ergebnis, ließ die Sprecherin von Kommissionspräsident José Manuel Barroso wissen, wolle nun die Sach- und Rechtslage prüfen.

Die sei kompliziert, weil das ­bilaterale Abkommen zum freien Personenverkehr untrennbar mit sechs weiteren Abkommen verknüpft sei, die Handel von Waren, Kapital, Dienstleistungen in vielen Bereichen wie Verkehr, Landwirtschaft, Forschung und öffentliche Ausschreibungen regeln. Jetzt sei die Schweizer Regierung am Zug, Vorschläge für eine Lösung zu machen und Ideen zu präsentieren. "Der Ball liegt im Feld der Schweiz" , hieß es Montag in der Kommission in Brüssel.

"Schweiz lebt von EU"

Ganz anders, im Ton wesentlich schärfer, reagierten Vertreter des EU-Parlaments und einige der in Brüssel tagenden Außenminister. "Man darf nicht vergessen, dass die Schweiz wirtschaftlich von der EU und der europäischen Nachbarschaft lebt" , sagte etwa der Deutsche Frank-Walter Steinmeier. "Rosinenpickerei"  könne auf Dauer keine geeignete Strategie sein, sagte er in Anspielung dar­auf, dass die Schweiz nicht einzelne Teile der Verpflichtungen von sich aus rauspicken und infrage stellen könne. Mit dem Votum schadeten sich die Schweizer vor allem selbst. Und der Sprecher der deutschen Kanzlerin Angela Merkel erklärte, die Initiative werfe "erhebliche Probleme"  auf.

Tatsächlich sehen die Verträge eine sogenannte Guillotineklausel vor. Jeder Vertragspartner kann die Abkommen kündigen. Sobald aber nur eines gekündigt wird, fallen alle anderen gleich mit. Für das EU-Parlament sagte Präsident Martin Schulz, Bern könne nicht nur die Vorteile der Beziehungen für sich in Anspruch nehmen. Er mahnte aber zu Gelassenheit seitens der Union, man müsse maßvolle und vernünftige Lösungen finden. Der Chef des außenpolitischen Ausschusses, Elmar Brok, erklärte hingegen, die Union könne das Votum sicher nicht einfach so hinnehmen.

Für Österreich legte sich Au­ßenminister Sebastian Kurz ebenfalls darauf fest, dass die Schweiz "keine Rosinenpickerei betreiben könne" ; das Ja zur Zuwanderungsbeschränkung gefährde auch die Vorteile der engen Anbindung der Schweiz.

Die EU ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Schweiz. 2012 betrugen die Exporte in die Unionsländer knapp 120 Milliarden Franken (98 Milliarden Euro) – von insgesamt 217 Milliarden Franken. In die USA exportiert die Schweiz um "nur"  23 Milliarden Franken.

Paris will Reevaluierung

Eine harte Haltung nimmt auch Frankreich ein, dass nun die gesamten Beziehungen zur Schweiz überprüft sehen will.

Diese Zurückhaltung aufseiten der EU-Kommission hat formale wie politisch-taktische Gründe. Zum einen sieht die Volksinitiative einen Übergangszeitraum von drei Jahren vor; bis dahin muss die Regierung in Bern eine neue gesetzliche Lage im eigenen Land schaffen und mit den EU-Partnern klarkommen. Man hat also noch viel Zeit. Erst die neue EU-Kommission, die im Oktober antreten soll, wird sich damit befassen.

Zum anderen bleibt für eine ­juristisch saubere Lösung und für Kompromisse wenig Spielraum. Das Recht von EU-Bürgern, sich samt Familie im freien Binnenmarkt niederzulassen (genau das sehen die Sonderverträge mit der Schweiz vor) ist eine der "Säulen"  des EU-Rechts – wie auch Kapital, Waren und Dienstleistungen. (Thomas Mayer aus Brüssel/DER STANDARD, 11.2.2014)