Bild nicht mehr verfügbar.

Barcelona-Star Messi (im Bild), Bayern-Chef Hoeneß, Frauenrechtlerin Schwarzer, Ex-Deutsche-Post-Chef Zumwinkel haben Probleme mit der Steuerpolizei.

Foto: EPA

Erich Kirchler (59) ist Professor für Wirtschaftspsychologie und Vizedekan der Fakultät für Psychologie an der Uni Wien. Er untersucht die Motive der Betrüger im Labor.

Foto: STANDARD/Corn

Standard: Herr Kirchler, Sie erforschen die Steuermoral der Bürger. Warum unterschlägt jemand wie Bayern-München-Chef Uli Hoeneß Steuern? Als Wurstfabrikant und Manager verdiente er Millionen.

Kirchler:Steuervermeidung und Hinterziehung gehen auf unterschiedliche Motivationslagen zurück. Der Großteil der Leute ist bereit zu kooperieren. Sie zahlen dem Kaiser, was des Kaisers ist, und begleichen Steuern ehrlich. Daneben gibt es viele Menschen, die denken: Ich habe keine andere Chance, ich muss zahlen. Auch das sind kooperationswillige Bürger, die aus Angst vor Strafen und Gesichtsverlust ehrlich sind. Dann gibt es jene, die nicht zahlen, weil sie den Autoritäten nicht trauen oder mit dem Staat nichts zu tun haben wollen. Schließlich gibt es die Spieler: Die finden Gefallen daran, gegen das Gesetz anzukommen.

Standard: Sie sagen, manche Hinterzieher misstrauen Autoritäten. Aber Leute wie Hoeneß oder der wegen Hinterziehung verurteilte Ex-Chef der Deutschen Post, Klaus Zumwinkel, sind Gewinner der Gesellschaftsordnung.

Kirchler: Ja, aber bei Fällen wie Hoeneß oder Zumwinkel können alle möglichen Überlegungen hinzukommen: Steuerbetrüger haben manchmal das Gefühl, dass es keine Austauschgerechtigkeit gibt. Sie empfinden, dass sie der Gemeinschaft mehr geben, als sie bekommen, oder, dass sie im Vergleich zu anderen zu viel zahlen. Oder sie vermissen ein Mitspracherecht bei staatlichen Ausgaben.

Standard: Ein Mitspracherecht?

Kirchler: Viele der Menschen, über die wir hier reden, sind wirtschaftlich tüchtige Leute, die viel verdienen. In ihrem Bereich sind sie Manager und Macher. Diese Leute geben ihr Geld manchmal mit der Vermutung ab, dass es versickert, weil die öffentliche Hand damit nicht effizient umgeht. Andere sind überzeugt, dass Steuergelder falsch verwendet werden. Aufgrund dieser Bedenken können sie nicht dem Gesetz entsprechend handeln. Es gibt also Menschen, die ein politisches Interesse haben, und ein Mitspracherecht würde ihren Kooperationswillen stärken.

Standard: Ist das nicht romantisierend: Ich kenne keinen Fall, wo jemand hinterzogenes Geld in wohltätige Stiftungen steckt. Meist liegt es auf Schweizer Privatkonten.

Kirchler: Ein Großteil der Leute setzt sich auch für die Gesellschaft ein. Und interessanterweise leisten sich viele Reiche einen Stab von Experten, der sie berät, wie sie Steuern vermeiden können. Oft sind die Ausgaben für die Berater nicht niedriger als die Steuerlast. Deshalb nehme ich nicht an, dass Steuersünder nur aus Gier agieren. Es geht nicht immer um egoistische Motive. Aber es sind immer Motive, die einem demokratischen Miteinander widersprechen.

Standard: Hinterziehen reiche Leute öfter als Arme?

Kirchler: In den Studien, die ich kenne, gibt es keinen klaren Zusammenhang zwischen Einkommen und Steuerhinterziehung. Aber: Ältere Menschen sind ehrlicher. Meistens sind Frauen ehrlicher als Männer. Logischerweise hinterziehen jene öfter, die größere Möglichkeiten dazu haben, also Selbstständige.

Standard: Wie untersuchen Sie eigentlich Steuermoral?

Kirchler: Unter anderem nutzen wir ein sozialwissenschaftliches Labor für Studienzwecke: Dabei simulieren wir mit Computerprogrammen eine Geschäftssituation. Die Versuchsteilnehmer müssen ihre Steuererklärung abgeben und Steuern zahlen. Steuerprüfungen erfolgen über ein Programm. Die Teilnehmer bekommen Geld für die Untersuchung, und sie erhalten reales Geld mit nach Hause. Je erfolgreicher sie hinterziehen, umso mehr Geld können sie mitnehmen. Aber wer erwischt wird, erhält weniger. Wir erzeugen eine Situation, die zu rational-egoistischem Handeln anregt, und untersuchen, unter welchen Bedingungen Ehrlichkeit obsiegt.

Standard: Was sind die spannendsten Erkenntnisse?

Kirchler: Wir haben viel über den Umgang zwischen Behörden und Bürgern erfahren. Diese Interaktion ist oft von Skepsis geprägt. Das vorherrschende Klima kann von der Meinung geprägt sein, dass alle Steuerzahler versuchen, Steuern zu reduzieren. Deswegen setzt sich die Überzeugung durch, dass die einzig brauchbaren Erziehungsmethoden Kontrollen und Strafen sind. Diese Annahme stimmt nicht.

Standard: Warum nicht?

Kirchler: Kontrollen und Strafen sind kostspielig. Sie machen den Bürger zum Feind. Wenn es Kontrollen gibt, werden Menschen in ihrem Handeln strategisch. Nach einer Steuerprüfung hinterziehen viele erst recht, weil sie glauben, die Wahrscheinlichkeit weiterer Prüfungen sei gering oder weil sie bestraft wurden und das Geld zurückwollen. Wenn die Behörde professioneller auftritt und klar ist, dass die Mittel zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt werden, entsteht Vertrauen. Die Leute denken dann nicht mehr lange darüber nach, wie sie Gelder unterschlagen können.

Standard: Wie ließe sich das in die Praxis umsetzen?

Kirchler: Es wäre wichtig, allen Bürgern, besonders jenen, die zu Vermögen gekommen sind, ein Mitspracherecht zu gewähren. In der Schweiz wissen die Menschen besser Bescheid, was mit ihrem Steuergeld finanziert wird. Dort wird über viele öffentliche Projekte direkt abgestimmt. In einer direkten Demokratie ist freiwillige Kooperation gegeben.

Standard: Schweben Ihnen Befragungen vor: Jeder kreuzt an, was mit seinen Steuern passieren soll?

Kirchler: Warum nicht? Einer könnte mehr Geld für Kunst und Kultur, der andere für Gesundheit geben. Vielleicht, wenn man es gut überlegt, könnte man diskutieren, ob es demokratisch möglich wäre zu sagen: Wir brauchen eine Brücke über die Donau oder eine neue Universität, und Steuerzahler tun sich zusammen, um dieses Projekt zu realisieren. Die Ausgaben werden dann anrechenbar. Das Ganze sollte nicht ganz nach dem Mäzenatentum in den USA ablaufen: Wenn Mäzene allein entscheiden, wohin das Geld geht, fände ich das nicht demokratisch vertretbar.

Standard: Nicht nur Hinterzieher sind oft rätselhaft, auch die Öffentlichkeit. Während Alice Schwarzer viel Häme entgegenschlug, ist Hoeneß bei den Bayern-Fans beliebt wie eh und je. Warum?

Kirchler: Hoeneß hat zerknirscht und genickt reagiert. Ich glaube, manche haben darin ein Zeichen der Reue gesehen und ihm deshalb eher verziehen. Das lässt sich nicht generalisieren. In Österreich ist es so, dass Hinterziehung im kleinen Ausmaß als Kavaliersdelikt gilt. Im großen Stil wird sie nicht akzeptiert. Steuervermeidung gilt hingegen als schlaues Verhalten. Das ist eigenartig, weil Steuervermeidung von Konzernen wie Google, Amazon und Starbucks ein viel größeres Problem ist als die zuletzt bekannt gewordenen Einzelfälle. Trotzdem bleibt da wenig hängen: Fälle wie Starbucks führen temporär zu einem Boykott. Aber dann wird die Sache vergessen.

Standard: Gibt es Unterschiede nach Ländern: Sind Österreicher ehrlich oder unehrlich?

Kirchler: Wenn man die Schattenwirtschaft als Indikator nimmt, zählt Österreich zu den ehrlichsten Ländern. Die Schweiz ist ganz oben. Dann kommen die USA, Japan und Österreich. Interessanterweiße ist die Schattenwirtschaft bei uns geringer als in Norwegen, Schweden und Finnland. Meine Vermutung ist, dass die Skandinavier in der Auskunft über Schattenwirtschaft etwas ehrlicher sind als wir, weshalb wir in den Statistiken besser wegkommen. (András Szigetvari, DER STANDARD, 8.2.2014)