Leere Liegen aufgrund mangelnder Finanzierung: Viele tödliche Unfälle und unklare Tode könnten nicht aufgeklärt werden, weil notwendige Obduktionen nicht mehr angeordnet würden, sagt Tutsch-Bauer.

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Edith Tutsch-Bauer (61) ist Leiterin des interfakultären Fachbereichs Gerichtsmedizin und Forensische Neuropsychiatrie der Universität Salzburg und zuständig für die Bundesländer Salzburg und Oberösterreich.

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Die Forensikerin im STANDARD-Gespräch über notwendige Obduktionen, die nicht finanziert würden, umstrittene Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und das Problem mit Exhumierungen.

STANDARD: Vonseiten der Justiz werden Obduktionen nach tödlichen Unfällen und unklaren Todesfällen als "absolute Routinemaßnahme" bezeichnet. Werden sie gar leichtfertig angeordnet?

Tutsch-Bauer: Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass das Gegenteil der Fall ist. Viel eher kommt es dazu, dass notwendige Obduktionen nicht angeordnet werden. Die Entscheidung, ob obduziert wird, fällt oft bei einem schnellen nächtlichen Telefonat zwischen Polizei und Journaldienst der Staatsanwaltschaft, also zu einem Zeitpunkt, an dem der Sachverhalt oft nur teilweise bekannt ist. Das beobachten wir Gerichtsmediziner schon lange mit sehr kritischen Augen.

STANDARD: Welchen Grund hat die Staatsanwaltschaft, Obduktionen nicht anzuordnen?

Tutsch-Bauer: Das traut sich zwar niemand öffentlich zu sagen, aber ich höre immer wieder und von verschiedenen Seiten, dass die Republik für diese Todesfälle einfach kein Geld hat. Ich arbeite seit 16 Jahren in der österreichischen Gerichtsmedizin und kann sagen, dass in den vergangenen 15 Jahren noch nie so wenig obduziert wurde wie letztes Jahr. Doch die Welt wurde bestimmt nicht besser, und man wird nicht davon ausgehen können, dass es im vergangenen Jahr so viel weniger unklare Todesfälle gab. Mir kommen häufig Fälle unter, bei denen aus gerichtsmedizinischer Perspektive eine Obduktion offensichtlich notwendig gewesen wäre, sie von der Staatsanwaltschaft aber nicht angeordnet wurde.

STANDARD: Was kosten Obduktionen denn den Staat?

Tutsch-Bauer: Nach dem Gebührenanspruch fallen circa 460 Euro an. Natürlich können manchmal Zusatzuntersuchungen notwendig werden - beispielsweise chemisch-toxikologische Analysen - und dadurch deutlich höhere Kosten hinzukommen. Aber ich kann einfach nicht verstehen, dass der Staat für die Aufklärung eines unklaren Todesfalles mit oft weitreichenden - auch juristischen - Konsequenzen dieses Geld nicht zur Verfügung stellt.

STANDARD: Können Sie auch konkrete Fälle nennen?

Tutsch-Bauer: Kürzlich las ich in der Zeitung von einem Skifahrer, der gegen eine Hinweistafel fuhr und verstarb. Der Leichenbeschauer stellte einen Genickbruch fest, keine Obduktion. Doch ein Genick bricht nicht so leicht, und von außen lässt sich das nicht feststellen. Sollten irgendwann Angehörige die Gemeinde oder den Seilbahnbetreiber klagen wollen, weil bei ordnungsgemäßer Anbringung der Tafel der Tod hätte verhindert werden können, kann der Fall nicht geklärt werden, weil niemand die tatsächliche Todesursache kennt.

STANDARD: Könnte man das nicht im Nachhinein über eine Exhumierung regeln?

Tutsch-Bauer: Die Möglichkeit besteht, aber heutzutage wird ein sehr großer Anteil der Verstorbenen verbrannt - in Salzburg etwa achtzig Prozent. Damit ist die Klärung der Todesursache nachträglich nicht mehr möglich. Und das fällt zulasten der Hinterbliebenen. Denn ohne Obduktion verbleibt bei den Angehörigen eine Unsicherheit, die später oft zu quälenden Fragen führt.

STANDARD: Und das alles, weil kein Geld da ist?

Tutsch-Bauer: Ich kann ein anderes Beispiel nennen, das das verdeutlicht. Kürzlich sollte ich für eine weitgehend verweste Leiche einen Totenschein ausstellen. Da eine Identifizierung aufgrund äußerer Merkmale nicht mehr möglich war, wollte ich eine DNA-Analyse durchführen. Die Kosten dafür belaufen sich auf circa 700 Euro - das war zu viel. Der Mann wurde als unbekannte Leiche begraben. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 8.2.2014)