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Wildschwein schmeckt, speziell, wenn man damit auch noch den Bauern was Gutes tut.

Foto: APA/dpa/Fredrik von Erichsen

Niemals würde Michael Huber Schweinefleisch im Supermarkt kaufen. Tiere aus Massentierhaltung kommen ihm nicht auf den Tisch, und auch zum Biofleischer verirrt er sich nicht. Wenn Huber Gusto auf einen Braten hat, dann geht er in den Wald und schießt ihn sich.

Huber ist Jäger in Niederösterreich, sein Revier liegt ganz oben an der slowakischen Grenze. "Mehr Bio geht nicht", sagt er über seine Wildschweine - "und von keinem Vieh schmecken die Innereien besser."

Die Dämmerung bricht herein, Huber sitzt auf einem Hochstand, das Gewehr im Anschlag, und beobachtet eine kleine Rotte Schweine, die sich auf der Lichtung suhlt. Die Tiere werden bis zum letzten Moment im Wald nach Eicheln gewühlt oder sich im Schlamm gesuhlt haben, Antibiotika, Wachstumsbeschleuniger oder Hormone sind ihnen gänzlich fremd. Und das Beste: Sie sind nicht nur im Überfluss vorhanden, es gibt sogar zu viele von ihnen. Sie aufzuessen ist eine Art Umweltschutz - und ein großes Vergnügen.

Doppelt so viele Schweine

Wildschwein schmeckt nämlich ganz hervorragend: Vor allem die Innereien junger Tiere bis zu zwei Jahren sind eine Delikatesse: Anders als bei seinem Verwandten, dem Schwein, ist die Leber des Wildschweins herrlich zart und schmeckt nicht unangenehm lebrig, die Zunge ist geschmort von butterweicher Aromatik, und das Beuschel hat eine Würze, wie Kalb sie nie bieten kann. Die gar nicht mageren Rippen lassen sich herrlich stundenlang über reichlich Wurzelgemüse schmoren, der Rücken macht jedem Hirschsteak Konkurrenz.

Niemand weiß genau, wie viele Wildschweine es in Österreich gibt, die Tiere sind sehr scheu und verstecken sich meist im Unterholz. Fest steht aber: Sie vermehren sich rasant. 2012 wurden knapp 50.000 Schweine geschossen, fast doppelt so viele wie im Jahr davor.

Für 2013 gibt es noch keine genauen Zahlen, es dürften aber nicht viel weniger sein. Allein in Hubers Revier waren es 470 Tiere. "Wir haben uns gewundert, wo die alle herkommen", sagt er. Das Phänomen ist nicht auf Niederösterreich beschränkt, die Schweine breiten sich in ganz Europa aus: In Berlin gelten sie bereits im Stadtgebiet als ernst zu nehmendes Problem, weil sie Gärten und Parkanlagen zerstören. In Bayern klagen die Bauern über immer mehr Schäden durch Schweine.

Wärmer Winter bringen "Mastjahre"

Es gibt viele Gründe dafür, dass die Schweine immer mehr werden: Die Winter werden wärmer, was ihnen die Fortpflanzung erleichtert; in den vergangenen Jahren waren besonders viele sogenannte "Mastjahre", in denen die Eichen außergewöhnlich viele Früchte tragen - das wichtigste Futter der Tiere. Und: Viele Konsumenten bilden sich nach Jahrzehnten unsachgemäßer Zubereitung vor allem in der ländlichen Gastronomie (Stichwort Knödel, Stichwort Wurzelmehlsauce) ein, das Fleisch der Tiere nicht zu mögen. Besonders bitter, wenn man bedenkt, dass jeder Österreicher pro Jahr durchschnittlich 38 (sic!) Kilo Schwein, fast immer aus industrieller Massentierhaltung, verschlingt.

Noch immer hat die Jagd für viele etwas Anrüchiges. Auch Huber heißt in Wirklichkeit anders, will aber seinen Namen nicht in Zusammenhang mit Jagd in der Zeitung lesen. Weil sein Revier zum Teil einem Naturschutzverein gehört, gibt es jedes Mal einen Aufstand, wenn über die Jagd dort berichtet wird. "Aber stellen Sie sich vor, wie es hier aussehen würde, wenn wir nicht jagen", sagt er und meint nicht nur die verheerenden Flurschäden. "Wenn der Wildschweinbestand zu dicht wird, breiten sich Krankheiten, etwa die Schweinepest, aus. In zwei Jahren lägen hier überall Kadaver verendeter Tiere."

Nur ein Euro pro Kilo

Der Preis für das Fleisch am Markt ist zudem im Keller - einerseits wegen der geringen Nachfrage, andererseits wegen der sogenannten Jagdgatter, eingezäunter Waldgebiete, in denen die Tiere in großen Mengen gehalten und für wenig Geld von Schießfreudigen erlegt werden können. "Das hat mit Jagd nichts mehr zu tun", sagt Huber, "das ist wie Schießen im Tiergarten."

Wegen dieses Überschusses zahlen Großhändler nur etwa einen Euro pro Kilo Wildschwein im Ganzen - bei Huber kostet es für Kunden sechs Euro, dafür ist das Fleisch fachgerecht zerlegt. Ähnlich sieht es bei anderem Wild aus: Hirsch wird im großen Stil tiefgekühlt aus Argentinien nach Europa importiert, wo die Tiere sehr günstig gezüchtet werden. Filet und Keule werden gegessen, der Rest landet im Hundefutter.

"Das Wichtigste wäre, dass auf Wildfleischpackungen endlich ausgewiesen werden muss, wo es herkommt", sagt Huber. Bisher ist das nicht so. Er tut sich daher schwer, sein Wildschwein außerhalb seines treuen Kundenstocks zu verkaufen - trotz des Preises, der für Fleisch dieser Qualität geradezu lächerlich anmutet. Für viele Jäger lohnt sich das Zerlegen und Verkaufen gar nicht mehr.

Es ist fast komplett dunkel, als Huber doch noch abdrückt. Der junge Eber, den er im Visier hatte, steht endlich richtig. Es kracht, das Tier läuft noch zwanzig Meter, dann bricht es zusammen. Huber ist zufrieden. Heute Abend wird es im Dorfwirtshaus Wildschweinleber geben. (Tobias Müller, DER STANDARD, Rondo, 7.2.2014)