Sophie Kennedy Clark und Stacy Martin in "Nymphomaniac".

Foto: Berlinale / Christian Geisnæs

Uma Thurman in "Nymphomaniac".

Foto: Berlinale / Christian Geisnæs

Von Lars von Tiers neuem Film Nymphomaniac wird nur eine um 90 Minuten kürzere Version regulär im Kino zu sehen sein. Diese ist unter anderem von explizitem, also mit Porno-Darstellern als Doubles gedrehten Material bereinigt worden. Hauptdarstellerin Charlotte Gainsbourg sprach im "Le Monde"-Interview letzte Woche davon, dass einem dabei viel entgeht: Die "großen Momente", die besonders schmutzigen Szenen könne man nicht einfach durch Vorstellungskraft ergänzen.

Die nun auf der Berlinale präsentierte erste Hälfte des fünfeinhalbstündigen Director's Cut bestätigt dies nur bedingt: Der Grundgestus des Films bleibt in dieser Fassung durchaus erhalten, auch wenn die Sexszenen nun um den ein oder anderen Geschlechtsakt ausführlicher sind. Es mag aber auch so sein, dass sich Gainsbourg mehr auf den zweiten, um einigen härteren Teil bezogen hat, in dem sie die gereiftere Ausgabe von Joe, der zentralen Protagonistin spielt. Im ersten Part wird diese von der intensiv-androgynen Newcomerin Stacy Martin verkörpert.

Das intime Setting des Films ist jedenfalls gleich: Zwischen Joe und Seligman (Stellan Skarsgard), dem Mann, der sie zu Beginn des Films auf der Straße aufklaubt und dem sie ihre Obsessionen anvertraut, entspinnt sich ein konzentrierter Dialog. Sie breitet in Episoden ihr Leben aus, während der Mann immer wieder mit kulturgeschichtlichen Einschüben für Zerstreuung sorgt - die Kunst des Fliegenfischens wird etwa mit dem Aufgabeln von Jungs verglichen. Der Film ist die Geschichte eines zunächst unbestimmbaren weiblichen Begehrens, das immer mehr Besitz über die junge Frau ergreift, zu deren Waffe und Bürde wird und das sie schließlich auch zum Feldzug gegen die Liebe nutzt. Liebe ist in ihrer Perspektive eine Idee, die nur zu Eifersucht und Zerstörung führt.

Nymphomaniac ist Lars von Triers offenster Film seit geraumer Zeit, ein Kompendium sexueller Eskapaden und damit verbundener gesellschaftlicher Moralvostellungen, das er mit großer stilistischer Wendigkeit und hintersinnigem Humor inszeniert. Die Entjungferung durch einen Mechaniker (Shia LaBeouf) erwirkt Joe noch selbst, später macht sich aus dem Wechsel der Partner ein Spiel, in dem der Würfel über Fortsetzung oder Ende einer Beziehung entscheidet. Man kann diesen erstaunlich reichhaltigen Film als eine negative "éducation sentimentale" bezeichnen, als hürdenvollen, aber eben auch lustvollen Weg einer Frau, die ihre Freiheit bewahren will und doch eine Getriebene bleibt. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, derStandard.at, 9.2.2014)