Stockdunkel durch den schwarzen Wald, über die steinerne Brücke, durch enge Tore auf den mächtigen Steindamm. Die Bibliothek links liegen lassen, dann die Treppen hinunter, an den kleinen Teich. Auf seiner Oberfläche wird sich Angkor Wat spiegeln mit den drei sichtbaren seiner fünf markanten Lotostürme, wie auf Kambodschas Fahne.
Wenn die Sonne heute richtig aufgeht und nicht allein den Dunst erhellt über dem Dschungel und den tausend Tempeln Angkors. Und wenn sich bis dahin keine breit gefüllte beige Expeditionsweste samt Spiegelreflex und Stativ vor dir aufgebaut hat, um die Reflexionen der 200-Meter-Struktur für die Lieben und die Festplatte daheim festzuhalten, wie Abermillionen andere Touristen, die hier auch schon früh aufgestanden sind.
Ein paar waren noch früher dran, und sie haben keinen Bammel vor all den Göttern und Affenkönigen und Kriegern und Tänzerinnen, die Angkor Wat rundum bevölkern: Taschenlampen funkeln aus der gewaltigen, noch immer nur zu erahnenden Sandsteinanlage.
Milchiges Licht schält das düstere Angkor-Wat-Profil langsam aus dem Dunkel. Und diesig holt die Sonne gut eine Hundertschaft von Besuchern oder zwei ans Licht, die sich um die Westseite des Teichs drängen, samt ihren Aufnahmegeräten.
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Zikzikziktaktakzik werden Speicherkarten und Smartphonealben gefüllt, gern auch milchig, mit und ohne (auf die Distanz ohnehin relativ sinnlosen) Miniblitz: Wow!
Und die Taschenlampentouristen blitzen zurück aus dem Motiv - fotografieren sie gar die müde Meute am Teich? Immerhin: Die Schar steht nicht im Gegenlicht.
Zwei, bald drei Millionen Menschen aus aller Welt besuchen Angkor pro Jahr. 200 Guesthouses, 30 Hotels, 30 weitere in Bau, referiert Christian Sack in der klimatisierten Bar des Grand Hotel d'Angkor mit Blick auf den Frangipanigartenpool und seine jedenfalls nicht armen Gäste. Der Wiener führt das Haus in Siem Reap seit bald drei Jahren für Raffles.
Seit 1997 betreibt dieser luxuriöse Arm der Fairmont-Gruppe das Grand Hotel und das Le Royal in der Hauptstadt Phnom Penh. 1932 wurde d'Angkor eröffnet. Unter Putschgeneral Lon Nol wurde der Kolonialbau zum Verwaltungsgebäude und Gefängnis. Auch das Terrorregime der Roten Khmer hielt dort seine Opfer gefangen.
Mouth Saravann, geboren 1970, hat Kambodschas Dekaden des Grauens erlebt und überlebt, wie wenige aus seiner Familie. Er arbeitete ab 1992 für die Vereinten Nationen, fuhr Taxi, kam als Butler zu Raffles und ist heute der erste Historiker in den Diensten der Hotelgruppe in Kambodscha. Er kann berichten, wie die Roten Khmer ihre Landsleute terrorisierten und massenhaft töteten. Er berichtet aber auch, wie die Kambodschaner dieses nationale Trauma hinter sich lassen wollen und vor allem nach vorne blicken. Vorne, da ist Wirtschaftswachstum, da ist Konsum und Stadt statt Reisfeld, so unvergleichlich sattgrün das Reisfeld auch leuchtet. Und so hart das bisschen Geld erarbeitet ist in einer der Textilfabriken, die für Hennes und Mauritz und Gap und die anderen Ketten des Westens produzieren.
Götter und Dämonen quirln
Vorn, da ist vor allem Tourismus. Auch wenn er nur auf der großen Südostasientour einen Tag oder höchstens zwei in Siem Reap aufschlägt und auch schon wieder abgeflogen ist zum nächsten Highlight nach Thailand, Myanmar, Laos, Vietnam.
Angkor Wat zum Sonnenaufgang. Die Brücke zum Südtor von Angkor Thom, gesäumt von übermannshohen Göttern und Dämonen, die mit einer riesigen Schlange den Milch-Ozean quirln, um an den Trank der Unsterblichkeit auf dessen Grund zu gelangen. Bis diese Amrita hochgeschäumt ist wie das Häubchen auf dem Latte, haben die Tagestouristen natürlich keine Zeit. Auf sie warten noch die lächelnden Gesichtertürme von Bayon. Die Terrasse des Leprakönigs geht sich im Vorbeifahren gerade noch aus. Und natürlich muss der von gewaltigen Baumwurzeln gewürgte Lara-Croft-Tempel Ta Prohm gesehen sein.
Die Jäger des Weltkulturerbes können gern weiterziehen nach einem Tag oder zwei. Nur wenige von ihnen werden die paar Serpentinen des Phnom Bakeng hinaufhatschen, auch wenn er praktisch am Weg von Angkor Wat nach Bayon liegt. Zum Glück bleiben sie im Bus. Es verirren sich noch immer genug ins unendlich grünweite Panoramabild über Angkor Wat und den Tempeldschungel.
Gott wohnt, wo der Frosch bellt
Und noch ein bisschen weniger Touris fahren ein Stündchen mit dem Tuktuk zum roten Tempel Banthea Srey und über eine unbefestigte Straße zu Kbal Spean. Wenige steigen die paar Höhenmeter auf durch die Luftwurzelskulpturen von Phlorngs (für Botaniker: Memecylon acuminateum) und Sophis und Sralao und Prahouts, über sattelschleppergroße Felsen, die sich wie Riesenechsen und Schlangen in den Weg stellen zum Fluss der tausend Lingas. Klingt monumental. Und ist doch nur ein kleines Flüsschen mit vielen feinen Ornamenten und Götterfiguren, schattig, seltener besucht, ein großer, ein erfrischender Kontrast zur Opulenz der großen Tempel.
Ein Wegerl bachaufwärts, drüben zurück, vorbei an algig grün und feuchtfelsig grau schimmernden Brahmas und Anantas und Lakshimis. Ein Wow der Ruhe.
Und wenn dann ein Parkwächter oder eine Parkwächterin wie Annie winkt, damit der Touri nicht vor lauter Aufatmen gar glaubt, das war's auch schon wieder: Folgen Sie einfach ihren Hinweisen flussabwärts. Auch dort finden Sie keine monumentalen Tempelbauten, keine Lotosknollentürme. Kugeln und Säulchen, man kann sie phallisch nennen, im klaren Wasser. Kleine Götterfiguren, manche verwaschen, manche kaum zu finden ohne einen Wink.
Kleine Götterfiguren
"Vishnu here", deutet Anni runter Richtung Fluss, Richtung Bellen. Unter Vishnu, kein Witz, wufft ein Frosch. Ein zweiter ziert sich, vom andern Ufer zu antworten.
Einen Felssprung weiter pritschelt der im Frühjahr schon müde Fluss der tausend Lingas in ein breites Felsbecken. So friedlich und freundlich, dass aberdutzende Schmetterlinge hier residieren.
Klingt betrunken vor Glück, besoffen von urwaldgrüner Romantik? Das Gefühl kann sich hier einstellen. Wenn es nur nicht zu viele auf einmal suchen und sie nicht zu viel erwarten. Vishnu were here. (Harald Fidler, Rondo, DER STANDARD, 7.2.2014)