Graz - Vielleicht, so dürfte die Bürgerinitiative der steirischen "Solidarregion Weiz" insgeheim hoffen, gibt es ihn ja doch, den Schmetterlingseffekt – wonach, der Chaostheorie zufolge, der Flügelschlag eines Falters – sagen wir in Südamerika - einen Hurrikan in Florida auslösen könnte.
Mit einem Blatt Papier, einem offenen Brief, wollen die Mitglieder der Initiative jetzt versuchen, den Bau des Mega-Staudammes Belo Monte in Brasilien zu beeinflussen, oder zumindest die Folgewirkungen dieses Kraftwerkprojektes im Amazonasgebiet für die betroffene, indigene Bevölkerung zu mildern. Adressat des dringenden Appelles der Weizer Bürger ist der Vorstandschef und Miteigentümer der Andritz AG, Wolfgang Leitner.
Die Andritz Tochter Andritz Hydro - der führende Industriebetrieb der Region Weiz - ist eines der drei großen Unternehmen, die den Staudamm errichten. Nach dem "Drei-Schluchten-Staudamm" in China und dem Itaipu-Kraftwerk an der Grenze Brasiliens zu Paraguay stellt Belo Monte das weltweit drittgrößte Kraftwerksprojekt dieser Art dar. Das Gesamtinvestitionsvolumen wird mit rund zehn Milliarden Euro beziffert, Andritz steuert Kraftwerkskomponenten (Turbinen) im Ausmaß von rund 330 Millionen Euro bei.
Ersatzhäuser im Sommer "unbewohnbar"
Gegen das Projekt wird seit Jahren erbitterten Widerstand organisiert, unterstützt von dem aus Vorarlberg stammenden Bischof Erwin Kräutler, der auch in enger Beziehungen zur Solidarregion Weiz steht, die wiederum zahlreiche soziale und ökologische Projekte im steirischen Bezirk organisiert. Kräutler habe vor wenigen Tagen bekräftigt, sagt Fery Berger von der Solidarregion, dass "der Kampf gegen Belo Monte verloren" und das Projekt trotz internationaler Proteste nicht mehr zu verhindern sei.
Die letzten Klagen seien zurück gewiesen, der Streik der 27.000 Arbeiter beendet worden. "Riesige Flächen" seien bereits abgeholzt. Kräutler befürchte, dass es bei der bereits beginnenden Zwangsumsiedelung von rund 40.000 Menschen zu Chaos und Panikreaktionen kommen werde. Zumal Familien in Fertigteilhäuser aus Beton, die für dieses Klima ungeeignet seien, umgesiedelt werden. Diese seien im Sommer "unbewohnbar".
Mitverantwortung, obwohl "nur" Zulieferer
Hier will die Solidarregion Weiz mit ihrem Appel an Andritz-Chfe Leitner einhaken: "Übernehmen sie die Verantwortung dafür, dass menschenwürdige Häuser für die Betroffenen gebaut oder klimagerecht umgebaut werden." Die Initiative fühle sich zu diesem Appell verpflichtet, weil gerade Leitners Unternehmen in Weiz angesiedelt sei.
Zitat aus dem Brief an Leitner: "Das Projekt Belo Monte hat die brasilianische Regierung in Auftrag gegeben und auch zu verantworten. Obwohl sie "nur" Zulieferer des Konsortiums Norte Energia sind, das für die Umsetzung des Baus verantwortlich ist, glauben wir trotzdem, dass Sie eine Mitverantwortung tragen für das, was jetzt mit den Menschen dort geschieht." Auch im globalen Wirtschaften müsse es soziale und ökologische Verantwortung geben.
Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudien
In einer Stellungnahmen gegenüber derStandard.at argumentiert die Andritz AG, dass "detaillierte Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudien" durchgeführt worden seien.
"Aufgrund der Ergebnisse dieser Studien sowie unter strenger Berücksichtigung der Vorschläge und Einwände von betroffenen Bürgern Brasiliens und internationaler Nichtregierungsorganisationen wurde das Projekt Belo Monte entsprechend adaptiert und umgeplant. Die betrifft beispielsweise die deutliche Verkleinerung der Gesamt-Staufläche, die Erhaltung der Reservate der indigenen Völker und der lokalen Naturschutzreservate sowie die Maßnahmen rund um die Umsiedelung der vom Kraftwerk betroffenen Bewohner, denen im Rahmen eines Sozialplans neue, moderne Häuser zur Verfügung gestellt werden", heißt es in der Stellungnahme.
Falscher Adressat
Das geplante Kraftwerk Belo Monte werde mit einer Leistung von über 11.000 MW der Kapazität von mehr als zehn Atomkraftwerken entsprechen. Andritz sei "nicht Projektbetreiber, der Projektbetreiber komme aus Brasilien – der offene Brief richte sich damit "an den falschen Adressaten". Das Projekt Belo Monte schaffe bei Andritz über sechs Jahre lang 300 Arbeitsplätze – davon in Österreich 40 Arbeitsplätze.
Andritz steht nicht nur in Brasilien unter Beobachtung. Das Netzwerk Soziale Verantwortung, vergibt demnächst den "Schandfleck des Jahres 2013", eine Auszeichnung für gesellschaftlich unverantwortliche Unternehmen, Organisationen, Institutionen und Einzelpersonen. Derzeit liege, so die Initiatoren des Netzwerkes, die Andritz Hydro GmbH für ihre Beteiligung am Staudammprojekt Xayaburi in Laos vorne. (Walter Müller, derStandard.at, 4.2.2014)