Standard: Erwarten Sie fröhliche Spiele?
Stoss: Wer die russische Seele kennt, weiß, dass die Russen feiern können. Ich erwarte mir freundliche und fröhliche Spiele.
Standard: Kann der Sport überhaupt eine Hauptrolle spielen auf einem Schauplatz, der von zehntausenden Sicherheitskräften bewacht werden muss?
Stoss: Das wird völlig überspitzt dargestellt. Ich erinnere an die Spiele 2002 in Salt Lake City, das war relativ knapp nach 9/11, es gab enorme Sicherheitsvorkehrungen. Ich erinnere an London, wo es vorher Terrorangriffe gab, wo man alles Mögliche an die Wand gemalt hat. Ich glaube nicht, dass sich Sotschi dramatisch von anderen Anlässen unterscheiden wird.
Standard: Die Umweltzerstörungen, von denen seit Jahren berichtet wird, werden ja nicht alle erfunden sein. Ist das schlicht der Preis für eine gigantische Sportveranstaltung?
Stoss: Das ist eher der Preis dafür, dass man die Spiele an Orte vergibt, wo es vorher gar nichts gab. Und um diese Orte zu erschließen, müssen eben gewisse Flussbegradigungen vorgenommen oder Schneisen in Wälder geschlagen werden. Ich erinnere mich aber auch an Bilder von der Bob- und Rodelbahn in Vancouver, wo auch Wälder abgeholzt wurden. Wenn man sagt, man geht Richtung Redimensionierung, dann werden eher die Orte zum Zug kommen, die es schon einmal hatten.
Standard: Die Spiele, ob Sommer oder Winter, werden aber immer größer, immer teurer. Ist eine Umkehr auf diesem Weg denkbar?
Stoss: Für mich schon. Das zeigen Formate wie die Olympischen Jugendspiele in Innsbruck, die mit einem Budget von 25 Millionen Euro veranstaltet wurden. Es blieben sogar drei Millionen Gewinn übrig. Das ist natürlich ein viel kleineres Format, es gibt weniger Sportler, weniger Sicherheitsvorkehrungen. Ich glaube, die Trendumkehr, zumindest im Nachdenken, wird jetzt im IOC wohl stattfinden. Manche IOC-Funktionäre äußern das auch schon öffentlich.
Standard: Weshalb werden wirtschaftliche Beziehungen zu Ländern, die nicht unbedingt den westlichen Idealen entsprechen, in der Öffentlichkeit wenig hinterfragt? Kaum kommt eine Sportgroßveranstaltung, sind Menschenrechte oder Umweltschutz in aller Munde. Das war bei Olympia 2008 in Peking so und bei der Fußball-EM 2012 in der Ukraine.
Stoss: Weil diese Länder dann mehr in den Blickwinkel der Öffentlichkeit geraten. Und es gibt natürlich Gruppierungen, die das besonders forcieren.
Standard: In diversen Ländern wird diskutiert, ob Regierungspolitiker die Spiele besuchen sollen oder nicht. Die Österreicher fahren. Was sagen Sie dazu?
Stoss: Ich finde die Diskussion pharisäisch. Man muss zwei Ebenen unterscheiden. Die sportliche steht ohnehin außer Zweifel. Und daneben kann man politische Kontakte knüpfen. Deshalb finde ich es nicht vernünftig, wenn man nicht hinfährt. Es wäre gescheiter, sich einem Dialog zu stellen, und sei es, dass es einen Dissens gibt. Toll, dass österreichische Politikerinnen und Politiker dabei sind und uns den Rücken stärken. Das ist nicht zwangsläufig notwendig, unsere professionellen Sportlerinnen und Sportler werden da gleich schnell oder gleich langsam runterfahren.
Standard: Mit Diskussionen ist wohl auch bei den nächsten Großveranstaltungen zu rechnen.
Stoss: Das beginnt im Sommer mit der Fußball-WM in Brasilien. Da könnten Sie meinen Landsmann Bischof Erwin Kräutler fragen, wie es um die Amazonas-Indianer bestellt ist. Sie können diskutieren über die Fußball-WM in Katar, wie es dort um die Menschenrechte bestellt ist. Ich muss sagen, dass in der Russischen Föderation viel geschehen ist. Ich reise viel in Russland. Ich habe eine Lotterie in Baschkortostan.
Standard: Es ist doch positiv, dass man Missstände aufzeigt.
Stoss: Es wäre aber ehrlicher, diese Diskussion im Vorfeld zu führen. Dass man bei den Vergabekriterien Punkte aufnimmt, die uns wichtig erscheinen, wie Menschenrechte, Demokratieverständnis, Umweltschutz, Nachhaltigkeit. Ich finde diese Kriterien wichtig. Aber allein das IOC vergibt die Spiele.
Standard: Ist es naiv zu glauben, dass der Sport die Welt verbessern kann?
Stoss: Sport kann einen Beitrag leisten. Es wird kein missionarischer Auftritt sein, aber Sport ist etwas Völkerverbindendes.
Standard: Sie haben im Zusammenhang mit Homophobie gesagt, Österreichs Team werde Zeichen setzen in Sotschi. Welcher Art können die sein?
Stoss: Jeder österreichische Athlet kann frei seine Meinung äußern. Dieser Raum wird gegeben im Austria-Tirol-Haus. Es gilt aber eine IOC-Regel, dass Wettkampfstätten nicht zu gebrauchen sind für eine politische Manifestation.
Standard: Inwieweit profitieren die Casinos Austria, denen Sie als Generaldirektor vorstehen und die der Hauptsponsor des ÖOC sind, von den Spielen?
Stoss: Gar nicht. Wir haben kein Kasino in der Russischen Föderation und werden wahrscheinlich auch in Zukunft keines haben.
Standard: Ist es Zufall, dass der Casinos-Chef auch ÖOC-Chef ist? Ihr Vorgänger Leo Wallner hatte ja auch beide Funktionen inne.
Stoss: Das ist weniger auf die Funktion des Casinos-Chefs zurückzuführen, sondern auf jene des Lotterien-Chefs. Die Österreichischen Lotterien sind mit Abstand der größte Geldgeber des österreichischen Sports. Wir zahlen jährlich 80 Millionen Euro an Sportförderung, die kommen aber nicht nach unserem Gutdünken den Vereinen und Verbänden zugute, sondern fließen in die BSO und werden nach einem klar festgelegten Schlüssel verteilt.
Standard: Wie viel erhält das ÖOC?
Stoss: 1,6 Millionen Euro jährlich. Den Rest müssen wir über private Sponsoren auftreiben. Meine Funktion übe ich ehrenamtlich aus.
Standard: Wer zahlt Ihre Reise nach Sotschi?
Stoss: Die Lotterien.
Standard: Wie steht das ÖOC wirtschaftlich da nach den Skandalen in der Ära Ihres Vorgängers Leo Wallner und der gescheiterten Bewerbung Salzburgs für die Spiele 2014, die ja jetzt in Sotschi stattfinden?
Stoss: Die Vergangenheit wurde Gott sei Dank bewältigt. Wir haben neue Strukturen eingezogen, wir haben auch einen Wechsel vollzogen. Wir arbeiten jetzt auch viel intensiver mit den Verbänden zusammen auch während der nichtolympischen Jahre. Wir haben ein deutliches Mehr an Sponsoren. Wir werden zum Teil von Firmen angeschrieben, ohne dass wir aktiv auf sie zugehen.
Standard: Wie hoch ist das Budget für die Spiele?
Stoss: Etwa drei Millionen Euro. Für den Transport, die Unterbringung, für Trainingslager im Vorfeld. Daneben betreiben wir ein Österreich-Haus, das kostet noch einmal zwei Millionen. Es wird ausschließlich mit privaten Mitteln finanziert.
Standard: Ist man als ÖOC-Chef vor Winterspielen entspannter als vor Sommerspielen? Eine Medaillenlosigkeit wie zuletzt in London ist ja wohl auszuschließen.
Stoss: Auszuschließen ist gar nichts. Die Erfolgschancen sind im Wintersport aber natürlich traditionell weitaus größer. Wir haben eine große Mannschaft mit Olympiasiegern, Weltmeistern und Europameistern. Da erwarte ich mir schon ein bisserl mehr. Ich würde es als großartigen sportlichen Erfolg ansehen, wenn die Mannschaft zumindest so viele Medaillen macht wie in Vancouver, das waren 16.
Standard: Sind die Medaillen das einzige Maß aller olympischen Dinge?
Stoss: Ich glaube für den Sportler schon. Für uns als ÖOC zählen genauso Spitzenplatzierungen unter den ersten zehn. Es gibt auch viele andere leistungsfähige Alpinländer, in denen es exzellente Sportlerinnen und Sportler gibt. Und die schlafen ja auch nicht in der Pendeluhr. (Benno Zelsacher, DER STANDARD, 04.02.2014)