Matthias Strolz von den Neos meinte bei der Eröffnung des EU-Wahlkampfes, langfristig solle Russland zur EU gehören. Na, ja. Wenn, dann sehr langfristig.

Momentan dürfte eher die Einschätzung des bedeutenden amerikanischen Historikers Timothy Snyder zutreffen, der vor kurzem in der Standard-Diskussion zu "1914 und die Folgen"  meinte: Die wahre, bedrohliche Auseinandersetzung in Europa spiele sich derzeit zwischen der EU und dem immer aggressiver auftretenden Putin-Russland ab. Die Ukraine sei der Ort einer Konfrontation mit weitreichenden Konsequenzen zwischen der für die meisten Ukrainer attraktiven "soft power"  EU (mit den Lehren von 1914) und Putins "hard power"  alter nationalistischer Prägung.

Putin will zweifellos die alte Sowjetunion wiederhaben, wenn schon nicht als staatliche Einheit, so als ganz eng verbundenes Einflussgebiet. In etlichen der ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken stehen russische Truppen. 2008 wurde Georgien, das auch in die EU will, durch einen Kurzkrieg gezüchtigt, der Plan einer "Eurasischen Union"  liegt ganz offen auf dem Tisch. Die Ukraine (auf deren Gebiet die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist) ist wohl der Hauptpreis in Putins Restauration der alten Sowjetunion. Mit einer Mischung aus Erpressung und Bestechung (Gas, Kredite) verhinderte Putin den Abschluss eines Assoziationsvertrags mit der EU. Angeblich unterstützen russische Spezialeinheiten den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch bei der Bekämpfung der Opposition. Die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko schrieb jetzt in der FAZ: "Der Kreml brauchte ganze fünf Jahre, um mit seinen Ressourcen den schwachen und korrupten ukrainischen Staatsapparat auf allen Ebenen zu infiltrieren, sodass dieser nun die Tore der belagerten Stadt für die gar nicht mehr so geheime Invasion Putins öffnet. Man kann sagen, dass der ukrainische Staat als solcher nicht mehr existiert."  

Österreichische Geschäftsleute, die in der Ukraine investieren, machen allerdings darauf aufmerksam, dass nicht alle Oppositionskräfte in der Ukraine EU-freundlich und "demokratisch" sind, sondern wie etwa manche westukrainische Nationalisten gefährliche Rechtsextreme und rabiate Antisemiten. 

Allerdings gibt es massive Indizien, dass Putin nicht nur die Ukraine wiederhaben will, sondern auch zumindest einen Teil der früheren osteuropäischen "Satelliten". Der Abschluss eines Ausbauvertrags für das Kernkraftwerk Páks komplett mit Kredit zeigte die Harmonie zwischen den Autokraten Putin und Viktor Orbán. Dasselbe strebt Putin mit Tschechien (AKW Temelín) an, wie der frühere tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg festhält. 

Putin handelt nach der klassischen Maxime der Zaren: statt Reformen im Inneren Expansion nach außen. Man kann zu den Spielen nach Sotschi fahren, aber man weiß, mit wem man es zu tun hat. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat laut Spiegel beschlossen, Putins "Wiedereroberung"  eine Eindämmungsstrategie entgegenzusetzen. Hat Österreich da irgendein Konzept dazu?  (DER STANDARD, 1.2.2014)