Als Autor oder Autorin hat man es nicht einfach: Schreibt man provokativ, kriegt man eine auf den Deckel, weil sich jemand auf den Schlips getreten fühlt. Schreibt man nicht provokativ, kriegt man eine auf den Deckel, weil sich jemand nicht genug auf den Schlips getreten fühlt. Schreibt man objektiv, ist man oberflächlich. Schreibt man subjektiv, ist alles sowieso erstunken und erlogen und man solle nicht von sich auf andere schließen!

Bei manchen Diskussionen oder Auftragsarbeiten stellt man quasi teils im Blindflug als Work in Progress fest, dass vermeintlich gelöste diskursive No-go-Areas immer noch schwer umkämpftes Gebiet sind. Ab und zu sogar mit Eisernem Vorhang. Zum Beispiel jene, die man doch seit geraumer Zeit als Allgemeinthema abhandeln könnte und nicht als das, als was es offenbar immer noch empfunden wird: als Skandal. Wobei "Skandal" zu hoch gegriffen ist, aber jedenfalls eine öffentliche Erregung.

Zum Thema "Tabu.Brüche" im Literaturhaus, schrieb ich, brav wie ich bin, Entsprechendes. Mit der Sorge, es könnte sich dabei gar nicht um ein Tabu handeln. 2014 jedenfalls. Eigentlich besteht das heutige Tabu ja oftmals daraus, dass man sich fürchtet, ja nicht tabulos genug zu sein. Das Entblößen ist Pflicht. Bloß unansehnlich sollte das Entblößte nicht sein. Nicht alt. Wenigstens nicht als alt erkennbar. Nach reiflicher Überlegung wählte ich aber etwas, das vielen immer noch unangenehm ist: die Menstruation, ihre Beschaffenheit und ihre Folgen. Diese Sorge, man könnte verräterische Spuren in seinem Berufsleben hinterlassen. Nicht wohlriechend genug sein. Der Ritter auf dem weißen Pferd ist in Wahrheit ein Tampon! Sorgen, die jene Männer, die demonstrativ entspannt an diversen öffentlichen Plätzen urinieren, offenbar nie plagen würden.

Nicht dass ich die Baum- und Hauswandpinkler total verdamme: Sie demonstrieren nur, dass sie sich öffentlich Raum für körperbezogen Intimes nehmen ohne Rücksicht auf die Umgebung. Ich darf da jetzt dazu wirklich nichts Böses sagen, immerhin habe ich meinen Exmann genau so kennengelernt. Immerhin waren wir dennoch lange verheiratet! Ich überlegte den Aufruf "Menstruierende aller Länder, vereinigt euch" und verwarf ihn.

Die Publikumsdiskussion wurde eingeläutet. Einer wurde sofort ungehalten. Ein Tabu sei das nicht, sondern stelle nur einen Schutz für Frauen dar. Scham schütze! Die Burka auch? Fragte eine. Die mitfilmenden Veranstalter freuten sich. Eine Dame, empörte er sich, eine Dame würde nie von ihrer Menstruation sprechen. Nur eine Frau! Die Damen rings um ihn verwandelten sich augenblicklich in Frauen und formten ein vielstimmiges Gesamtkunstwerk. Ich war baff: Mein nicht ausgesprochener Aufruf war bereits umgesetzt. (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 1./2.2.2014)