Mit Statistiken verhält es sich genau umgekehrt zum geschenkten Gaul: Ein Blick ins Maul ist unverzichtbar. Denn mit kaum etwas lässt sich so gut Politik machen wie mit Zahlen. "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast" wurde zum geflügelten Wort. Und so ist eben auch beim Hantieren mit Arbeitslosenquoten Vorsicht geboten.
In Österreich werden 250.000 Arbeitslose in den Statistiken versteckt, sagt etwa eine im Vorjahr präsentierte Studie der Denkfabrik Agenda Austria. Durch Frühpensionierungen und Schulungen werde die wahre Arbeitslosenrate nach unten gerechnet, so die Studienautoren. Tatsächlich sei sie etwa im Frühjahr 2013 bei über zehn Prozent gelegen, nicht, wie die EU-Statistiken behaupten, bei etwas über fünf Prozent.
"Man kann die Statistik aufblasen"
Für Herbert Walther, den Leiter des Instituts für Arbeitsmarkttheorie an der Wirtschaftsuniversität Wien, ist diese Zahl "mehr oder weniger Unsinn". "Man kann mit Definitionen jonglieren und die Statistik so aufblasen", so Walther im Gespräch mit derStandard.at. Die Agenda Austria arbeitet mit einer Methode, die sich die Auswirkungen der Konjunktur auf die Erwerbsquote zunutze macht. Steigt die Erwerbsquote bei besserer Konjunktur, tauchen die sonst nicht in der Statistik berücksichtigten Arbeitslosen auf. Walther sieht die 250.000 versteckten Arbeitslosen kritisch. So könne man nur zählen, wenn "die Politik die Leute in Pension schickt, weil es keine Jobs gibt". In Österreich sei das aber nicht der Fall.
Aber auch für Walther ist klar, dass die offiziellen Arbeitslosenquoten Mängel aufweisen und manches nicht berücksichtigen. In den Statistiken der EU ist die Arbeitslosigkeit etwa immer zwei Prozentpunkte niedriger als in den heimischen Statistiken. Das liegt daran, dass in der EU-Statistik alle Arbeitslosen aus der Statistik fallen, die im letzten Monat nicht aktiv nach Arbeit gesucht haben und innerhalb von zwei Wochen einen neuen Job antreten können. Gleichzeitig gilt man nicht mehr als arbeitslos, wenn man im letzten Monat mindestens eine Stunde pro Woche gearbeitet hat. "Wer also kurz einmal Rosen auf der Straße verkauft, fällt schon raus", so Walther.
Eine alternative Arbeitslosenquote hat die Agenda Austria vor geraumer Zeit errechnet. Ökonom Walther nennt sie "mehr oder weniger Unsinn".
Keine großen Verzerrungen
Die EU-Statistiken beruhen auf Telefonumfragen, wer lügt, weil er sich etwa für seine Arbeitslosigkeit schämt, verzerrt die Statistik. Mit der österreichischen Methode kann das nicht passieren, hier wird jeder gezählt, der sich beim AMS als arbeitslos meldet. Aber auch hier gilt: Wer nicht zum AMS geht, weil er etwa keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat oder keinen erheben will, der fällt aus der Statistik. Selbstständige werden in Österreich gleich gar nicht berücksichtigt. Jede Statistik habe eine begrenzte Aussagekraft, so Walther.
Im Hinblick auf die österreichische Methode sieht er aber keine großen Verzerrungen. "Es kann natürlich eine gewisse Schönfärberei sein, wenn man Leute in Schulungen schickt und denen das nicht hilft." Trotzdem hält er es für sinnvoll, Arbeitslose in Schulungen aus der Statistiken zu nehmen, weil viele Qualifikationen sammeln könnten, die ihnen später bei der Jobsuche helfen würden.
Andere Indikatoren hilfreich
Um die Lage eines Arbeitsmarkts einschätzen zu können, braucht es mehr als eine Arbeitslosenquote, die bestimmte Dinge nicht misst. Der Blick auf die Erwerbsquote könne helfen, so Walther, hier stehe Österreich mit 77 Prozent im europäischen Vergleich gut da, auch wenn sie unter Älteren sehr niedrig sei. Die Spitzenreiter sind die skandinavischen Länder, hier liegt die Erwerbsquote bei 82 bis 83 Prozent. Auch ein Blick auf die unfreiwillige Teilzeitarbeit ist hilfreich, hier sieht Walther Österreich ebenfalls gut aufgestellt. OECD-Statistiken zeigen, dass 2012 1,5 Prozent der heimischen Beschäftigten Teilzeit arbeiteten und gerne länger gearbeitet hätten. In Deutschland lag die Quote bei 3,1 Prozent.
Wer dem Gaul ins Maul schauen will, der muss die Anzahl der Menschen in Schulungen im Auge behalten, die der unfreiwilligen Teilzeitkräfte und Frühpensionisten, genau wie all jene, die aus statistischen Gründen nicht berücksichtigt werden. In Österreich sei es aber nicht so wie in England unter Thatcher, sagt Arbeitsmarktexperte Walther. So habe ein unter der Eisernen Lady arbeitender Minister in seinen Memoiren geschrieben, seine erste Aufgabe im Amt sei es gewesen, in regelmäßigen Abständen die Arbeitslosenstatistiken nach unten zu manipulieren. (Andreas Sator, derStandard.at, 3.2.2014)