Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann ist in Europa. Er spricht in Straßburg vor dem Europarat. Er spricht Menschenrechtsverletzungen an, er spricht die Diskriminierung von Homosexuellen an, er erklärt, warum ein Boykott der Olympischen Spiele aus seiner Sicht nicht das geeignete Mittel ist, die Anliegen von Menschenrechtsaktivisten zu unterstützen. Das ist an sich lobenswert. Faymann tut dies allerdings, ohne Russland überhaupt direkt anzusprechen, und er nimmt das Wort Sotschi gar nicht erst in den Mund. Das ist schon sehr diplomatisch. Das ist nicht mutig. Das ist - europäisch?

Die Dinge nicht beim Namen nennen, dem anderen ja nicht auf die Zehen steigen, keinen Fauxpas riskieren, sich mit niemandem anlegen, um den heißen Brei herumreden - das macht Politik so abgehoben und nicht nachvollziehbar, das macht Politik öde, langweilig und unsympathisch. Auf europäischer Ebene ist das besonders ausgeprägt, dort wird in Codes kommuniziert, und kaum ein europäischer Abgeordneter tut sich die Mühe an, komplexe Sachverhalte zu Hause so darzulegen, dass die Bürger auch verstehen können, worum es geht.

Die EU ist nach wie vor ganz weit weg. Auch für die heimischen Politiker. Sie scheinen sich damit abgefunden zu haben, dass Europa als Thema ganz einfach uninteressant ist. Die SPÖ versucht das zu überbrücken, indem sie einen pensionierten Fernsehmoderator mit all seiner Selbstgefälligkeit ins Rennen um die Stimmen schickt. Die ÖVP leidet schwer an ihrem Spitzenkandidaten, der zwar für Inhalte steht wie kaum ein Zweiter, in der Öffentlichkeit aber so gut wie unverkäuflich ist. Und weit und breit ist niemand, der versucht, auch Jugendliche anzusprechen und das Thema Europa für sie zu übersetzen. Das Wählervertreibungsprogramm wird beharrlich fortgesetzt, die ohnehin tief gelegte Hürde einer Wahlbeteiligung von zuletzt nur noch 46 Prozent könnte erneut unterschritten werden.

Wie sich dieser geringer werdende Prozentsatz an Menschen, die sich noch für unsere Vertretung auf europäischer Ebene interessieren, auf die Parteien aufteilt, ist jedenfalls für diese dennoch sehr spannend: Die ÖVP braucht einen Erfolg so dringend wie einen Bissen Brot. Die Halbwertszeit von Parteichef Michael Spindelegger würde sich noch einmal dramatisch verkürzen, sollte die ÖVP den ersten Platz verlieren. Die SPÖ setzt mit ihrem Spitzenkandidaten Eugen Freund aber ohnedies nicht allzu viel Ehrgeiz daran, der ÖVP nahezutreten. Vielleicht lässt die SPÖ Freund ja doch noch auf Autobussen affichieren, um ihm gerecht zu werden.

Wo nicht nur Spindelegger seine Sachen packen müsste, sondern auch Faymann unter Druck geraten würde: wenn es der FPÖ gelänge, stimmenstärkste Partei zu werden. Umfragen sehen das im Bereich des Möglichen.

Der FPÖ fällt es zwar schwer, ihre Anhänger zu mobilisieren, weil die sich noch weniger für die EU interessieren als sonst wer, aber Neinsagen und Herumschreien ist offenbar auch ein Programm, für das sich Leute begeistern können. Dem etwas entgegenzusetzen wäre Aufgabe und müsste Motivation genug für die beiden Koalitionsparteien sein, sich mehr ins Zeug zu legen - schon im eigenen Interesse. Auch Grüne und Neos wären gefordert, ihr europapolitisches Engagement anschaulicher zu machen. Heinz-Christian Strache auf dem ersten Platz: Das fällt auf alle zurück. (Michael Völker, DER STANDARD, 31.1.2014)