Foto: Mischa Nawrata; Deborah Sengl

Klosterneuburg - "Wir Menschen ändern uns nicht. Vor allem nicht zum Besseren." Den Pessimismus teilt Deborah Sengl mit Karl Kraus. "Komplett austauschbar", sagt sie über die Aktualität seiner Tragödie Die letzten Tage der Menschheit. Kraus goss Absurdität und menschliche Abgründe, Brutalität und Zynismus des Krieges in ein Textmonstrum, das oft bloß den hetzerischen Jargon der Gazetten zitieren musste.

Es ist auch der erste moderne Krieg, den Kraus darstellt: Bajonette wichen damals effektiveren Waffen wie Giftgas, Panzern, Maschinengewehren - Krieg technisierte sich. Dennoch kommt Kraus fast ohne Frontszenen aus, er stellt die Fratze des Krieges und die Verderbtheit der Menschen in Straßenszenen dar, am Magistrat, im Animierlokal, Hofratswohnzimmer, Ministerialbüro - oder der Zeitungsredaktion. "Wir leben in einer schwierigen Zeit", sagt Sengl über die Gegenwart, in der es für die Bankrotterklärungen von Kultur und Geist wohl ebenfalls keiner Darstellung kriegerischer Manöver mehr bedarf.

44 Szenen - 41 kleinere und drei apokalyptische Monumentalszenen - hat die Wiener Künstlerin (geb. 1974) für ihre raumfüllende Installation im Museum Essl nachgestellt und dieser den Kraus'schen Originaltitel gegeben. Sengls Schauspieler der letzte Menschheitstage: 176 präparierte weiße Ratten und eine schwarze in der Rolle des Nörgler - einem Auftritt für den Schriftsteller selbst: "Den Gedanken ihrer Dummheit, den Gefühlen ihre Bosheit, dem furchtbaren Rhythmus ihrer Nichtigkeit gab ich die Körper und lasse sie sich bewegen", resümiert dieser gegenEnde des letzte Akts. Resigniert, mit den Händen die müden Augen reibend, visualisiert Sengl diese Szene mit dem schwarzen Nager.

Dass Sengl zu Kraus griff, ist auch Kalkül: 2014 lag das Thema des Ersten Weltkriegs auf der Hand. Dann spielte ihr der Zufall noch das Hörbuch des Dramas zu. Eingelesen hatte es Helmut Qualtinger, für den die Künstlertochter (Vater und Mutter sind ebenfalls bildende Künstler) als Kind sogar einmal auf der Bühne stand.

Besonders eindrücklich erinnert sich Sengl an eine Kinoszene, in der Soldaten ungeheuerliche, mörderische Artilleriefeuer mit freudigen "Bumsti!"-Ausrufen begleiten: So etwas könne man leider nur akustisch umsetzen.

Vom Vermenschlichen der Ratten spricht Sammler Karlheinz Essl; David Schalko beschreibt es im Katalog als "Vertierung des Menschen" und scheint der Verrohung des Homo sapiens damit irgendwie näherzukommen. "Der Mensch - als Tier - ertarnt sich seine Abgründe", könnte Sengls Installation - folgt man der Logik mancher ihrer Serien - auch heißen. Die Löwin - als Räuber - ertarnt sich ihre begehrte Beute (2004) lautet der Titel ihrer wohl bekanntesten Arbeit: eine Löwin im Zebrafell.

Tarnen und täuschen, das können Sengls Hybridtiere, ihre Viecher mit dem Hang zur Maske: Hyänen im Lammfell, Raubkatzen im Antilopenkostüm. Den sprichwörtlichen Wolf im Schafspelz hat sie immer wieder dargestellt, ob als präpariertes Objekt, Zeichnung oder Gemälde. In einer Tafelbildserie von 2007 mimte ein herziger Panda den nordkoreanischen Diktator. Und für Polizisten müssen oft Hunde herhalten: Dobermänner sind es, die mit der Waffe auf eine niedergerungene Gestalt mit Hasenkopf zielen.

Anlass für Selbstekel

Nun also Ratten, die übrigens nicht der Kunst wegen starben, sondern ein Futtertierleben führten, bis sie - ihre Felle ausgenommen - den Hunger von Greifvögeln und Schlangen stillten. Ratten sollen egoistische Wesen sein, die zuerst an sich selbst denken. Eine wunderbare Metapher also für den Menschen, der sich angesichts des Ekels, den Ratten vielfach auslösen, also vor sich selbst grausen müsste.

Im Essl-Museum begegnen uns aber eher possierliche Tiere auf Sockeln: weiße, klinisch rein wirkende Ratten mit noch weißeren, manchmal zwänglerischen Requisiten (die Psychiater begegnen dem "Irrsinnigen" etwa im OP-Outfit). Es sind mehr brave Illustrationen als dramatische Sinn- und Bühnenbilder. Das Blut blitzt grell wie Nagellack. Einzig vom Pipilackerl eines betrunkenen Tiers könnte man angewidert sein. Und ausgerechnet im Moment des menschlichsten Bedürfnisses nimmt die Menschenratte wieder tierische Pose ein. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 31.1.2014)