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Die Proteste in Kiew und anderen ukrainischen Städten dauerten auch Mitte der Woche weiter an.

Foto: APA/EPA/Zurab Kurtsikidze

Brüssel/Moskau – Dass es diesmal nicht um den Austausch diplomatischer Höflichkeiten gehen würde, war bereits vor dem 32. EU-Russland-Gipfel klar. Wegen massiver Verstimmungen im Vorfeld war das Programm von zwei Tagen auf knapp drei Stunden eingedampft worden. In dieser Zeit aber sollte Tacheles geredet werden, hatten EU-Vertreter versprochen.

Ob Kommissionschef José Manuel Barroso, Ratspräsident Herman Van Rompuy und die Außenbeauftragte Catherine Ashton ihren russischen Gesprächspartnern Wladimir Putin und Sergej Lawrow tatsächlich unverblümt die Meinung gegeigt haben, bleibt Objekt der Spekulation, die Verhandlungen fanden schließlich hinter verschlossenen Türen statt. Wenn ja, dürften auch die Russen einiges zu sagen gehabt haben – der Ärger, speziell beim Thema Ukraine, ist beiderseits groß.

Unheil durch Ungesagtes

Die unterschiedlichen Standpunkte bleiben, doch die Aussprache führte zumindest zu versöhnlichen Gesten: Barroso zitierte Dostojewski mit der Aussage, dass Ungesagtes das meiste Unheil bringt, Putin wiederum versicherte, das Wichtigste sei, dass man sich offen ausgesprochen habe. Der Kremlchef versprach auch, weder den Gasrabatt, noch den 15-Milliarden-Kredit an Kiew von der politischen Farbe der dortigen Regierung abhängig zu machen, will aber mit der vollständigen Auszahlung der Milliardenhilfe warten, bis eine neue Regierung im Amt ist. Die EU ihrerseits will sich mit Russland bei ihrem Programm "Östliche Partnerschaft" besser abstimmen, um Moskau Ängste zu nehmen, dass die geplanten Abkommen nicht Russlands Interessen beschädigen.

In Moskau wird die Ost-Partnerschaft der EU mit den kleineren Ex-Sowjetrepubliken misstrauisch beäugt, der Kreml fürchtet, sie sei ein Mittel der Neuaufteilung Europas; einer Grenzverschiebung gen Osten gewissermaßen, die Russland letztendlich an den Rand drängen soll. Es dürften "keine neuen Grenzen gezogen" werden, warnte Putin daher und schlug vor, eine Freihandelszone zwischen der EU und der sich um Russland entwickelnden Eurasischen Union aufzubauen. "Die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraums zwischen Lissabon und Wladiwostok kann einem wie ein Traum erscheinen, doch manchmal werden Träume wahr", unterstützte Barroso die Idee.

Solch eine Einigung wäre nicht nur wirtschaftlich wichtig für die beiden Partner, deren Handelsvolumen im vergangenen Jahr 320 Milliarden Euro überstieg, sondern würde auch politisch die Weichen von der latenten Konfrontation auf Kooperation stellen. Im Falle der Ukraine hätte eine bestehende Freihandelszone wohl die politische Krise in Kiew verhindert, schließlich blockte die ukrainische Führung das Assoziationsabkommen mit Brüssel wegen der (von Moskauer Zollschikanen genährten) Befürchtung, damit den russischen Markt zu verlieren.

Partnerschaftsabkommen zäh

Vor dem Traum der Freihandelszone müssen beide Seiten aber noch reale Arbeit verrichten, speziell am neuen Partnerschaftsabkommen. Die Verhandlungen darüber sorgten in den letzten Jahren für Tristesse, gab es doch kein Vorankommen. Immerhin nun haben beide Seiten vereinbart, auf dem nächsten Gipfel, der im Frühsommer in Sotschi ansteht, das Thema auf die Agenda zu setzen.

Der Streit dreht sich dabei um die Energiebeziehungen. Brüssel fühlt sich zu abhängig von Moskau und will speziell den Gasriesen Gazprom mithilfe der Europäischen Energiecharta zähmen. Der Kreml hat naturgemäß wenig Interesse daran, seine mächtige Allzweckwaffe – unter anderem in Streitigkeiten mit Weißrussland und der Ukraine eingesetzt – in europäisches Wettbewerbsrecht pressen zu lassen. Beim russischen Prestigeprojekt South Stream immerhin hofft Putin auf einen schnellen Durchbruch. Es handle sich nur um "technische Differenzen", versicherte er in Brüssel.

Die Hoffnung der Russen auf baldige Abschaffung der Visapflicht wird sich wohl nicht erfüllen. Die EU spielt dabei auf Zeit, auch weil sie versteht, dass sie mit der Frage andere politische Forderungen verknüpfen kann. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 30.1.2014)