Wien - Die Mail, die Karl Löbl im Frühsommer 2013 an Freunde und eine Handvoll ehemaliger Kolleginnen und Kollegen schickte, war so kompromisslos ehrlich und der Wahrheit verpflichtet wie sein gesamtes journalistisches Schaffen. Man möge seine "anhaltende Zurückgezogenheit" verstehen, aber für Treffen und Tratschen sei er kaum mehr tauglich: "Nach zwei Krebsoperationen und trotz mehrmaliger Chemotherapien wollen die Karzinom-Herde von mir nicht lassen, haben sich jetzt der Leber und Lunge bemächtigt."
Alle medizinischen (Hilfs-)Maßnahmen würden eingestellt, er wolle sein bisher so schönes Leben auf natürliche Art enden lassen. Doch zunächst schrieb er noch rasch sein neues Buch: "Nach den Premieren" (Verlag Seifert). Die Einblicke in sein Leben in und mit der Wiener Staatsoper stellte er im November 2013 vor.
Langjähriger Feuilletonchef
26 Jahre lang war Löbl Feuilletonchef diverser Zeitungen, dazwischen (von 1975 bis 1979) auch Chefredakteur des "Kurier", ehe er 1980 als Fernseh-Kultur-Hauptabteilungsleiter zur Legende wurde. Sendungen wie "Lieben Sie Klassik" und "Klassiktreffpunkt" im Radio oder "Nach der Premiere" im Fernsehen waren Kult, seine messerscharfen, blitzschnellen Analysen sind bis heute unübertroffen. Seine intellektuelle Brillanz konnte mitunter durchaus einschüchternd sein.
Viele Jahre war er, der Lehrmeister von und für Generationen von Journalisten, mein Chef in der ORF-Kulturabteilung und bis zuletzt mein vielleicht wichtigster Ratgeber, vor allem was journalistische Sorgfalt, Empathie gegenüber der Sache, Begeisterungsfähigkeit anging, aber auch Streitkultur, Widerspenstigkeit, harte Diskussionen. War man überraschenderweise seiner Meinung, blickte er spöttisch und wartete auf Widerspruch. Bequem wollte er es nie.
Wie unbequem er es sich selbst - und, ja, wohl auch anderen - machte, wie forsch und unerschrocken er sich seinen Ruf als unbestechliche Kritikerinstanz erwarb, beschreibt Löbl in seiner im Frühjahr 2013 erschienen Autobiografie Der Balkonlöwe. 60 Jahre mit den Prominenten aus Oper, Theater und Fernsehen (Verlag Seifert).
Arbeit als beste Medizin
Arbeit sei die beste Medizin, sagte er, und schob den Tod immer ein bisschen weiter hinaus. Wenn man ihn traf, wollte er über alles reden, nur nicht über seine Gesundheit. Etwa dass er, geboren 1930 als Sohn eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter, als Hitlerjunge paradierte - und mit dieser Camouflage der Familie vermutlich unwissentlich das Leben rettete. Oder über seine große Liebe zu seiner Frau, der um sechs Jahre älteren Journalistin Hermi Löbl, mit der er 56 Jahre verheiratet war, mit der er zwei Kinder hatte. Und die er, bereits selbst schwer erkrankt, pflegte bis zu ihrem Tod.
Oder dass sich 1956 der damalige Staatsoperndirektor Karl Böhm nach seiner Rückkehr von einem Amerika-Gastspiel dazu hinreißen ließ, einem kaum 25-jährigen journalistischen Grünschnabel namens Löbl zu verraten, dass er seine internationale Karriere nicht der Staatsoper zu opfern gedenke. Das Ergebnis ist bekannt, Böhm wurde umgehend ab-, durch Herbert von Karajan ersetzt und Löbls Ruf als unbestechlicher, auch frecher Kritikerpapst zementiert.
Nur ein Jahr später bezeichnete der junge Opernfan eine Sängerin als "Kredenz auf Radln", was ihm eine Verurteilung wegen Verunglimpfung eintrug und was er später - allerdings ziemlich halbherzig und unter heftigem Augenzwinkern - bedauerte. Als Karl Löbl 1998 vom ORF in Pension geschickt wurde, hatte er jedenfalls keinen Pensionsschock. Er schrieb freiberufliche Opern- und Musikkritiken, übernahm die Moderation der Staatsopernmatineen Vor der Premiere.
Buchpläne
Er habe, sagte er einmal bei einem unserer letzten Treffen im November, eigentlich wenig bedauert in seinem Leben - ja, vielleicht dass sein Traum, Staatsoperndirektor zu werden, unerfüllt blieb. Wehmut deswegen? Nein, wehmütig sei er nicht: "Ich habe immer das gemacht, was mir große Freude bereitet hat."
Im Mai wollte er sein drittes Buch präsentieren, diesmal schrieb er über Mensch und Mythos Herbert von Karajan. Wie beim "Balkonlöwen" und "Nach den Premieren" sollten nur wenige Monate zwischen Idee und fertigem Buch liegen. Doch diesmal war die Krankheit schneller. "Ein Journalistenleben lang galt ich als besonders hartnäckig. Diese Eigenschaft haben in den letzten Jahren offenbar auch meine Krankheiten übernommen." (Andrea Schurian, DER STANDARD, 29.1.2014)