Eine Dreierkonstellation mit einigem Potenzial für Konflikte: Bérénice Bejo als Marie-Anne, die sich in "Le passé" mit ihrem Ex (Ali Mosaffa, re.) und ihrem neuen Freund (Tahar Ramin) duelliert.

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Regisseur Asghar Farhadi: "Das Blättern in Familienalben hat mich von klein auf fasziniert."

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Wien - Nach vier Jahren kehrt Ahmad (Ali Mosaffa) aus dem Iran nach Frankreich zurück, um sich von seiner Frau Marie-Anne (Bérénice Bejo) scheiden zu lassen. Schon auf der Fahrt vom Flughafen nach Hause greifen die beiden länger zurückliegende Auseinandersetzungen wieder auf. Aber auch zwischen Marie-Anne und ihrem neuen Freund Samir (Tahar Ramin) steht nicht alles zum Besten - aus diesem Beziehungsgemenge entwickelt sich ein Drama, das immer neue Schichten der Vergangenheit freilegt.

Nach Nader und Simin - eine Trennung, für den Asghar Farhadi 2012 einen Oscar gewinnen konnte, entwirft der Iraner mit Le passé - Das Vergangene ein weiteres scharf beobachtetes bürgerliches Kammerspiel, in dem es um unterdrückte Konflikte einer Patchworkfamilie geht.

STANDARD: "Le passé - Das Vergangene" ist der erste Film, den Sie nicht im Iran, sondern in Frankreich gedreht haben. Ihre Arbeiten waren bisher stark auf die iranische Gesellschaft bezogen. Was bedeutet der Ortswechsel für Sie?

Farhadi: Die gesellschaftliche Dimension ist hier im Westen in den Hintergrund getreten, der zwischenmenschliche Bereich dafür in den Vordergrund. Wenn man alle Einzelteile der Geschichte zusammenlegt, vermag man aber immer noch einen soziologischen Zugang zu dem Film zu finden. Die Figurenkonstellation des Films erscheint mir wie eine kleine Ausgabe der Gesellschaft.

STANDARD: Ein iranischer Mann, seine französische Exfrau, ihr Freund mit nordafrikanischen Wurzeln: Sie beschreiben den Konflikt dennoch nicht auf der Ebene des Kulturellen. Warum?

Farhadi: Es ist doch so, dass Filme gerne Klischees bedienen, wenn sich darin Menschen unterschiedlicher Kulturen begegnen. Es geht immer um die Differenzen, und das ist etwas, was ich nicht mag. Ich habe versucht, dieses Thema nicht direkt anzuvisieren. Es gibt zwar kulturelle Unterschiede, aber diese machen nicht die Geschichte aus. Die Figuren sind sich sogar ziemlich ähnlich. Darauf baue ich auf.

STANDARD: Ahmad tritt ein wenig als Stabilisator in der Beziehung auf - aber das Gleichgewicht verändert sich. Warum?

Farhadi: Auf den ersten Blick erscheint Ahmad am stabilsten. Man fühlt, dass er ein wenig emotionaler ist, mehr Mitgefühl gegenüber den Kindern aufbringt. Er versucht ständig, alles zu reparieren - auch die Situationen, die entgleiten. Aber sein Verhalten ist zwiespältig. Wir wissen nicht, ob er generös ist oder ob er nicht deshalb so handelt, weil er etwas gutmachen will. Er spielt die Rolle eines guten Menschen, der keine Schuld trägt. Das ist etwas, das seine Exfrau Marie-Anne stört.

STANDARD: Das spricht sie an einer Stelle ja auch ganz direkt aus.

Farhadi: Ahmad zu verstehen ist etwas schwieriger als bei den anderen. Diese denken über sich und ihre Gefühle einfacher, ungebrochener nach - das liegt auch an ihrer westlichen Identität. Ahmad redet weniger über sich, zumindest nicht direkt - das ist etwas sehr Iranisches an ihm.

STANDARD: Sie schreiben Ihre Bücher selbst: Gehen Sie stets von den Dialogen aus?

Farhadi: Dialoge sind sehr wichtig. Ich versuche sie aber so zu schreiben, dass es nicht geschrieben wirkt. Ich möchte nicht, dass meine Präsenz im Film spürbar ist.

STANDARD: Warum nicht?

Farhadi: Das ist wohl eine Besonderheit der östlichen Kunst. Wenn man die berühmte Scheich-Lotfollah-Moschee von Isfahan besucht, überwältigt einen das Gebäude, man hat Respekt davor, denkt aber nicht über dessen Macher nach. Viele iranische Künstler haben ihre Werke nicht signiert, um sich selbst herauszunehmen. Sie wollen keinen Schatten auf die Beziehung zwischen Betrachter und Werk werfen. Im Westen ist das anders: Wenn man sich etwa Michelangelos David anschaut, spürt man beim Betrachten auch die Präsenz des Künstlers. Ich bevorzuge die orientalische Art.

STANDARD: Aber ist das iranische Kino nicht auch stark über Autoren definiert?

Farhadi: Natürlich sind nicht alle iranischen Filme so, wie ich das schätze.

STANDARD: Sie waren sieben Jahre alt, als es im Iran zur Revolution kam. Welches Kino hat Sie geprägt?

Farhadi: Ich habe von klein auf Interesse an Bildern gezeigt, an Fotos. Das Blättern in Familienalben hat mich fasziniert. Zu den älteren Bildern habe ich mir Geschichten über die alte Zeit ausgedacht. Ich war zehn, elf, als der Iran-Irak-Krieg ausbrach - in dieser Zeit hat das iranische Fernsehen viele europäische Kriegsfilme gezeigt. Mein Widerstand gegen diese Filme wurde immer größer. Ich habe dann aber zuerst Theater studiert und blieb lange der Theaterwelt treu.

STANDARD: Sie blättern immer noch in Familienalben, bevorzugt aus dem bürgerlichen Milieu. Was interessiert Sie an dieser Schicht?

Farhadi: Da ich selbst der Mittelschicht angehöre, habe ich wohl das Gefühl, dass ich diese besser kenne als andere. Die Mehrheit im Iran entspricht dieser Schicht, und ich glaube, in fast jedem Land hat diese den größten Einfluss.

STANDARD: Iran hat mit Hassan Rohani seit 2013 einen moderateren Präsidenten. Wie ist die Lage?

Farhadi: Es ist noch zu früh, das zu beurteilen. Ich freu mich, dass die Leute Hoffnung haben - es ist eine gute Gelegenheit, die Hoffnung zu nutzen.

STANDARD: Ihr Regiekollege Jafar Panahi hat Arbeitsverbot. Hier betrachtet man ihn als Kämpfer für die Freiheit der Kunst. Ihre Sicht?

Farhadi: Das ist sehr kompliziert. Ich hab allerdings den Verdacht, dass der Westen auf solche Signale nur wartet. Es ist für Medien interessanter über jemanden zu berichten, der keine Filme machen darf, als über jemanden, der welche macht.

STANDARD: Panahi macht im Untergrund weiterhin Filme. Über diese wurde durchaus geschrieben.

Farhadi: Die kenne ich noch nicht. Aber es liegt in der Natur von Medien, sich für das Außergewöhnliche zu interessieren. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 29.1.2014)