Wien - Was kann man sich wohl unter einem "Scheißtag" in der Jugendforschung vorstellen? "Fünf Manager sitzen hinter einer verspiegelten Glasscheibe, während die Gruppe von ausgewählten Jugendlichen nicht auftaucht - und ich den Managern dann erklären muss, warum die Marktforschungsstudie nicht stattfinden kann", erzählt Bernhard Heinzlmaier unverblümt aus seinem Berufsalltag als Jugendforscher.

Diese leisten sich regelmäßig heftige Urteile über uns Jugendliche: Egozentrisch seien wir, amoralisch sowie "angepasste Hosenscheißer", denen nur der Sinn nach Spaß steht. Nachlesen kann man das schwarz auf weiß in Jugendstudien von sogenannten Jugendinstituten. Deren Mitarbeiter sind dabei Berufsjugendliche, deren Schulzeit in der Regel länger zurückliegt als die Pensionierung vor ihnen.

Doch treffen ihre Urteile wirklich auf uns zu? Und wie kommen die Forscher überhaupt zu ihren teils absurd anmutenden Theorien? In anderen Worten: Uns interessiert brennend, womit sich Jugendforscher eigentlich den lieben langen Tag beschäftigen.

"Die Kombination aus repräsentativen Befragungen und Fallstudien erlaubt es uns, auf den Punkt zu bringen, wie die jugendliche Generation tickt", erklärt der bereits 70-jährige Jugendforscher Klaus Hurrelmann im Gespräch mit dem SchülerStandard. Hurrelmann studierte unter anderem an der renommierten Berkley-Universität in Kalifornien, mittlerweile lehrt er als Professor an einer Privat-Uni in Berlin.

Forschung in Kinderzimmern

Es sei gang und gäbe, die Jugendlichen bis in die eigenen vier Wände zu begleiten, um zu einer empirischen Schlussfolgerung zu kommen. Und das kann man durchaus wörtlich verstehen: Die Forscher machen laut Hurrelmann nicht mal vor den Justin-Bieber-Postern im Kinderzimmer halt, die sie auf ihrer Suche nach aussagekräftigen Symbolen akribisch dokumentieren.

Im Wiener Institut für Jugendkulturforschung werden ebenso regelmäßig Umfragen durchgeführt, doch ohne finanziellen Anreiz kommt auch dessen Mitbegründer Bernhard Heinzlmaier bei seinen Forschungsstreifzügen durch die "vom Kapitalismus geprägte Jugendkultur" nicht aus.

Um die 50 Euro ist dem Jugendforscher der Eintritt in die jugendlichen Gefilde wert. Somit wundert es uns auch nicht mehr, dass sich einige Jugendliche dazu überreden lassen, bei solchen Umfragen mitzumachen.

Unser Vorurteil von altbackenen Jugendforschern wurde jedoch während des Interviewtermins mit Bernhard Heinzlmaier relativ bald beseitigt. Allein schon sein Erscheinungsbild hinterließ einen bleibenden Eindruck: Ein lockeres T-Shirt mit der Aufschrift "We are all made in China" ziert sein kleines Wamperl. Und dass er den Schmäh "Schlag mich tot" an jedem zweiten Satzende anfügt, zeugt ebenso, gepaart mit einer lockeren Gestik, von seiner Nähe zur Jugend.

Überrascht hat uns des weiteren seine Ehrlichkeit. Auf unseren Vorwurf hin, dass sein aktuelles Buch Generation Ego sehr subjektiv ist und seine empirischen Studien mit 400 Teilnehmern uns als nicht ausreichend erscheinen, antwortet er: "Ja, ist eh so. Objektivität ist einfach nicht möglich."

Auch Jugendforscher Hurrelmann äußerte sich im Interview selbstkritisch über die Branche: Er warnt vor Forschern, die nur auf große Resonanz in den Medien abzielen und aus diesem Grund 15 bis 20 Prozent der "Jugendlichen, die nicht wissen, wie man sich benimmt", zur ganzen Jugend erklären.

Vielleicht muss man bei der Betrachtung der Jugend ja etwas tiefer in die Geschichtsbücher blicken. Schon Sokrates beobachtete vor über 2000 Jahren, was mancher Lehrer auch heute noch fast wörtlich wiederholt: "Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität."

Wir hätten dieser weisen Aussage auf den ersten Blick zweifelsfrei zugestimmt, doch Jugendforscher Heinzlmaier erklärt, dass das alles ganz und gar falsch sei. Die heutige Jugend verachte überhaupt nicht die Autorität, ganz im Gegenteil.

Stattdessen übe sie vielmehr keine Kritik mehr am System und sei nur noch auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Richtige Streber sozusagen. Als besonders strebsam konnten auch wir die Jugend in der U-Bahn-Station Stephansplatz wahrnehmen - jedoch strebten sie weniger zu unserer Straßenumfrage, sondern eher zur nächsten U-Bahn.

Jugendforschung, was ist das?

Von Jugendforschern hatte ein Großteil der rund 30 Befragten überhaupt noch nichts gehört, geschweige denn jemals eine Studie gelesen. Eine Schülerin war sogar ganz verwirrt, als wir sie darüber aufklären mussten, dass Jugendforscher gar keine Jugendlichen sind. Ihr Freund argumentierte daraufhin, dass Tierforscher ja auch keine Tiere sind.

Wenn man einen Blick auf die veröffentlichten Studien von Jugendinstituten wirft, die unter Titeln wie "Schule ist wichtig" oder "Lernen vs. Freunde" ihre nachvollziehbaren, doch altbekannten Erkenntnisse herunterleiern, ist es nicht weiter verwunderlich, dass seitens der Erforschten selber kein Interesse daran besteht.

Um unsere Generation zu retten, sieht Heinzlmaier nur mehr einen "Schuss Anarchie" und "Verpunkung" als Ausweg. Inwieweit es die Jugend schafft, dem Kapitalismus die Stirn zu bieten, wird die Zukunft zeigen, doch die Jugendforscher werden es vermutlich nicht vor uns bemerken. (Philipp Koch (17) Anna Strümpel (17), Schülerstandard, DER STANARD-Printausgabe, 27.1.2014)