In Ägypten kommt es doch manchmal so, wie man denkt: Interimspräsident Adly Mansur gab am Sonntag bekannt, dass nicht Parlamentswahlen, sondern Präsidentschaftswahlen am Anfang des politischen Prozesses stehen werden, der das tief verunsicherte Land am Nil in die Normalität zurückführen soll. Fast drei Jahre nach dem Sturz Hosni Mubaraks und ein gutes halbes Jahr nachdem der erste Zivilist im Präsidentenpalast, Mohammed Morsi, des Amtes enthoben wurde, setzt das neue politische Establishment Wegmarken: Nicht Legitimität durch ein neues Parlament - seit Juni 2012 gibt es kein Unterhaus mehr - soll Ägypten retten, sondern ein starker Präsident.

Dass damit das Versprechen gebrochen wird, das Armeechef Abdel Fattah al-Sisi den Ägyptern und der Welt am 3. Juli 2013 gab - mit den Spitzen der ägyptischen Gesellschaft im Rücken -, ist nicht mehr als eine Fußnote der Geschichte. Wenn Sisi auch noch, wie erwartet, kandidiert und gewählt wird, dann revidieren die Ägypter und Ägypterinnen viel Gewichtigeres: das am 11. Februar 2011 gesetzte Statement, dass sie im 21. Jahrhundert keinen Pharao brauchen und wollen.

Es gibt noch eine Chance, dass Sisi doch nicht antritt: Dass nicht einmal alle seiner Unterstützer von der Idee eines Präsidenten Sisi hundertprozentig überzeugt sind, zeigte jüngst ein BBC-Interview mit dem Herrscher von Dubai, Mohammed bin Rashid Al Maktum. Er empfahl Sisi, in der Armee zu bleiben. Die Vereinigten Arabischen Emirate, deren Vizepräsident, Premier und Verteidigungsminister Scheich Maktum ebenfalls ist, gehören zu den Hauptsponsoren Ägyptens nach dem Morsi-Sturz.

Dass Sisis Lack durch eine Präsidentschaft auch bei seinen begeistertsten internen Anhängern bald Kratzer bekommen würde, ist ziemlich klar: In dem halben Jahr haben die neuen Herren, hinter denen Sisi steht, so gut wie nichts weitergebracht. Die großen strukturellen Probleme bleiben ungelöst. Ohne Geld aus Saudi-Arabien, den Emiraten und Kuwait sähe die Bilanz noch düsterer aus.

Der starke Mann, den Ägypten jetzt angeblich so dringend braucht, hätte auch kein Patentrezept, vor allem würde er aber die verfeindeten Seiten nicht zusammenbringen, sondern weiter auseinandertreiben. Auch die dringende Reintegration des "dritten Lagers" - jener, die weder von Islamisten noch von Militärs regiert werden wollen - könnte ein Präsident Sisi am wenigsten bewerkstelligen.

Als schreckliche Herausforderung für Ägypten könnte sich auch noch eine ständige terroristische Bedrohung etablieren. Es gibt Anzeichen dafür. Teile der in den Untergrund gedrängten Muslimbrüder radikalisieren sich. Musste ein Ayman al-Zawahiri - der Al-Kaida-Chef, der aus der damals unter dem Einfluss des radikalen Denkers Sayyid Qutb stehenden ägyptischen Muslimbruderschaft stammt - seine neue jihadistische Bewegung noch quasi selbst aufbauen (mit Osama Bin Laden), so ist es heute ein Leichtes, bei anderen Organisationen anzudocken.

Noch richtet sich der Terrorismus vordergründig meist gegen Einrichtungen des Sicherheitsapparats - wobei Kollateralschäden in Kauf genommen werden. Aber der Staat nimmt mindestens ebenso viele demokratiepolitische Schäden in Kauf. Die New York Times zitiert einen nichtislamistischen Aktivisten: Noch nie seien so viele seiner Freunde im Gefängnis gewesen wie heute. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 27.1.2014)