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Gut vernetzt mit der Außenwelt: Die British Virgin Islands waren durch ihre Verflechtung mit der britischen Finanzindustrie der ideale Ausweichpunkt für Schwarzgelder aus Hongkong.

Foto: AP/Vansickle

Wien - Der Weg zur Briefkastenfirma in der Karibik beginnt mit einem Klick. Die Fidelity Corporate Services bietet ihre Dienste rasch und unkompliziert im Internet an. Wer auf den British Virgin Islands (BVI) ein Unternehmen gründen will, kann die notwendigen Anträge online bei Fidelity ausfüllen. Der Dienstleister mit Sitz auf den Virgin Islands übernimmt gegen eine Gebühr die Anmeldung der Briefkastenfirma und stellt in der Karibik sogar eine Postadresse zur Verfügung. In komplexen Fällen hilft ein Kundenbüro in Riga mit Tipps. In zehn Tagen kann die Registrierung abgeschlossen sein, verspricht Fidelity - volle Diskretion inklusive.

Keine Steuer auf Kapitalerträge, keine Einkommens- und Erbschaftsteuer, ja überhaupt keine klassischen Steuern: Die BVI locken seit 40 Jahren Schwarzgeld an, allen voran aus den USA und der EU. Vergangene Woche enthüllten die Süddeutsche Zeitung und der Guardian unter Berufung auf zugespielte Urkunden Überraschendes: Demnach können rund 21.000 Briefkastenfirmen - die meisten in den BVI - Eigentümern aus China und Hongkong zugerechnet werden. Auf einer Liste finden sich zahlreiche Prominente, wie Angehörige von Ex-Präsident Hu Jintao, aber auch Parlamentarier und Führungskräfte aus der Wirtschaft, die über die Inselgruppe veranlagt sind.

Während die Geschichte um die Welt ging, warf die Enthüllung eine Frage auf, die bisher kaum diskutiert wurden: Warum nutzen so viele wohlhabende Chinesen die Virgin Islands als Schwarzgeldoase und nicht etwa das viel näher gelegene Singapur?

Der Exodus des chinesischen Kapitals in die Karibik begann nach Auskunft von Steuerexperten mit einem Umbruch: Im Juli 1997 erfolgte die Rückgabe der britischen Kronkolonie Hongkong an China. Chinesische Geschäftsleute hatten Hongkong lange dazu genutzt, um Steuern zu umgehen. Das Modell war simpel: Wer in China Gewinne erwirtschaftet, muss diese versteuern. Ausländische Direktinvestitionen dagegen sind von Abgaben befreit. In und ausländische Geschäftsleute legten daher ihre Gewinne in Briefkastenfirmen in Hongkong an und leiteten das Geld über diese Firmen nach China weiter.

Furcht der Hinterzieher

Bevor China die Verwaltung Hongkongs übernahm, fürchteten viele um das Ende des Systems und suchten neue Schwarzgelddestinationen. Die Virgin Islands schickten 1995 Werbedelegationen in die Kolonie und priesen die Karibik als Alternative an. Die britischen Banken in Hongkong kannten ihrerseits die BVI ausgezeichnet: Die Inselgruppe hatte sich in den 70er-Jahren durch ihre Diskretion und Rechtssicherheit als Steueroase für reiche Amerikaner und Briten etabliert. "Deshalb war es für britische Geldhäuser nur logisch, ihren Kunden die Virgin Islands und nicht nähergelegene Destinationen wie Singapur oder Macao zu empfehlen", sagt der Steuerexperte John Christensen.

Das Modell, dass Gewinne aus China umgeleitet und über Scheingesellschaften reinvestiert werden, hat sich gehalten: Laut dem Congressional Research Service in Washington, das für US-Abgeordnete Analysen erstellt, sind die Virgin Islands zweitgrößter Direktinvestor in China: Fast zehn Prozent aller Investments zwischen 1979 und 2010 stammen aus den BVI, das entspricht mehr als 81 Milliarden Euro. Aus den Virgin Islands floss fast doppelt so viel wie aus den USA, in der Statistik findet sich Singapur nur weit abgeschlagen.

Im Vergleich zur Größe der Offshore-Industrie in den BVI spielen Chinesen freilich nur eine kleine Rolle. Rund eine Million Briefkastenfirmen sind in dem zu Großbritannien gehörenden Überseegebiet heut noch registriert. Dabei bemüht sich die Inselgruppe derzeit, ihren schlechten Ruf los zu werden. So unterzeichneten die BVI 2012 ein Fatca-Abkommen mit den USA. Der Vertrag verpflichtet die Verwaltung der Insel ab 2015, Informationen über US-Investoren an Washington weiterzureichen. Auch mit Großbritannien wurde ein ähnliches Abkommen geschlossen.

Laut Steuerexperten werden diese Verträge allein wenig ändern: Fatca zwingt Banken dazu, ausländische Eigentümer von Konten offenzulegen. Die Briefkastenfirmen nutzen die Virgin Islands aber nur als Zwischenstation, das Geld liegt meist im Ausland und wird daher unerfasst bleiben. Zudem verwenden die Steueroasen oft Schachtelkonstruktionen: So gehören Briefkastenfirmen auf den BVI oft Briefkastenfirmen aus Panama oder den Caymans, was ihre Struktur so undurchsichtig macht. (DER STANDARD, 27.1.2014)