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Eskapaden von Justin Bieber schlagen auf Twitter oft lange hohe Wellen, andere Nachrichten gehen darin oft unter.

Foto: Reuters

Der Kurznachrichtendienst Twitter versprach einst, ein Kanal zu werden, der jedem Nutzer aufgrund der von ihm gefolgten Accounts stets aktuelle und vor allem relevante Nachrichten zu liefern. Geradezu gefeiert wurde das 140-Zeichen-Medium, als es von vielen Menschen im Zuge des "arabischen Frühlings" genutzt wurde, um ihre Botschaft in die Welt zu tragen und Einsichten in die Situation vor Ort zu liefern.

"Wieso ist das eine Meldung?"

Doch der Charakter von Twitter wandelt sich zunehmend, wie New York Times-Autorin Jenna Wortham am Beispiel des kanadischen Teenie-Popstars Justin Bieber attestiert. Dessen Eskapaden – zuletzt eine betrunkene Autofahrt mit überhöhter Geschwindigkeit - sorgten für zahlreiche Reaktionen im Web, auch auf Twitter wurde dessen kurzfristige Inhaftierung von vielen scherzhaft kommentiert.

Der Grundtenor der meisten Reaktionen war allerdings: "Wieso ist das eine Meldung wert?" Tatsächlich, so findet Wortham, wäre dies auch gar keine besonders bedeutende Neuigkeit gewesen, zumindest nicht im Vergleich zu vielen anderen Ereignissen des Tages.

Wer das schönste Boot hat...

Dass Bieber trotzdem in Sachen Aufmerksamkeit oben auf schwamm, schiebt sie darauf, dass Twitter anstelle eines Verbreitungskanals für Nachrichten immer mehr zu einer Selbstdarsteller-Plattform wird. Statt mit dem Strom zu schwimmen und möglichst viel Nützliches herauszufischen, geht es immer mehr darum, wer das schönste und größte Boot hat.

Aber wie konnte es dazu kommen? Wortham ist der Ansicht, dass nicht die Anzahl der eigenen Follower für den Einzelnen relevant ist, sondern wie viele Nutzer Tweets aufgreifen, weiterverbreiten oder favorisieren. Besonders viel Aufmerksamkeit erhält man freilich, wenn es einem gelingt, von einer bekannten Persönlichkeit erwähnt zu werden.

Wettbewerb der Schreihälse

Retweets und andere Reaktionen ermutigen dementsprechend auf sozialem Wege zur Wiederholung des eigenen Verhaltens. Und weil am Ende alle schließlich so handeln, entsteht ein Wettbewerb darum, wer am lautesten schreit oder den aufmerksamkeitsstärksten Event des Tages mit der markigsten Meldung kommentiert.

Dies führt dazu, dass Aktualität über Relevanz siegt und selbst an sich unbedeutende Nachrichten eine riesige Community über lange Zeit beschäftigen können, während Relevantes zunehmend untergeht. "Es fühlt sich an, als wären wir alle freche Gäste einer Late-Night-Show oder Teilnehmer einer Reality-Show", beschreibt Wortham ihre Einschätzung. Statt Nachrichten zu transportieren, versuchen viele User immer mehr, selber zur Nachricht zu werden.

Rückzug

Wortham konzentriert sich in Folge auf einen immer kleineren Kreis aus Leuten, um weiterhin möglichst relevante Inhalte in ihrem Stream zu finden, weil Twitter unter der Last seiner vielen Nutzer immer anstrengender statt aufregender wird. Gleichzeitig nehmen privatere Kommunikationsformen – Instant Messenger, E-Mail oder "altmodische" Google-Gruppen – wieder einen höheren Stellenwert ein.

Twitter selbst versucht gegenzusteuern. Neben der Möglichkeit, Listen anzulegen, weist man die Nutzer nun verstärkt auf Aktivitäten von Freunden hin und blendet potenziell interessante Tweets und Themen ein. Doch ob dies auf lange Sicht hilft, darf bezweifelt werden, sind es doch weiterhin die Nutzer mit ihrem steigenden Bedürfnis an Aufmerksamkeit für die eigene Person, die das Netzwerk mit Inhalten speisen. (red, derStandard.at, 26.01.2014)