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Auch ohne Währungsfonds ist das Leben in Dublin nicht leichter geworden.

Foto: AP/Morrisson

Irland ist Achterbahn gefahren, und Patrick Honohan war immer im ersten Wagen. Er saß ganz unten, als das Land vor drei Jahren vor dem Bankrott stand. Jetzt fühlt er sich wieder oben angekommen. Es ist Freitagnachmittag in Dublin. Honohan, Chef der irischen Notenbank, sitzt in einem Konferenzraum und streicht über seinen Bart. Eine Gruppe von Journalisten umringt ihn und bedrängt ihn mit Fragen. "Was können Krisenländer wie Portugal und Griechenland von Irland lernen? Was war der Schlüssel zum irischen Erfolg?" Honohan antwortet erst nicht, sondern spricht albern über den Ausblick, als würde er den Moment auskosten. "Ist die Aussicht nicht schön?", sagt er und zeigt über die Dächer von Dublin. Draußen Sonne, drinnen grau. So ist das Bankerleben.

Wie die Zeiten sich ändern. Ende 2010 waren die irischen Banken pleite. Der Staat griff den Geldhäusern unter die Arme, bis er selbst strauchelte. Die irische Regierung wollte im letzten Moment versuchen, die Bankengläubiger an den Krisenkosten zu beteiligen. Doch die Europäische Zentralbank, flankiert von Honohan, lehnte ab. Sie fürchteten, die Krise würde sich weiter ausbreiten. Daher drängten sie die Regierung in Dublin, einen Notkredit beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und den Euroländern aufzunehmen und die Bankinvestoren auszuzahlen. Mit Erfolg. Irland griff zum Kredit und flüchtete unter den Rettungsschirm.

Ein Teil der Ökonomen war überzeugt, Irland werde zu einem zweiten Griechenland, einem zweiten Pleitefall in Europa. Heute sieht es aus, als hätten sie sich geirrt: Drei Jahre lang erfüllte Irland die Sparauflagen seiner Gläubiger. Im Dezember verließ das Land den Rettungsschirm. Der Staat finanziert sich wieder über die Märkte und hat seinen politischen Freiraum zurück. Die Investoren vertrauen dem Staat wieder, Dublin kommt billigst an Kredite. Für sie ähnelt Irland derzeit wieder eher Österreich als Griechenland. "Wir haben alles auf Punkt und Komma umgesetzt," sagt Notenbanker Honohan, "dabei ist die soziale Ungleichheit nicht einmal gestiegen".

Modellfall Irland

Tatsächlich ist Irland für die wenig erfolgsverwöhnten Europolitiker zum Modellfall geworden: "Seht her ihr Griechen, eure Opferbereitschaft zahlt sich aus, macht es wie die Iren", lautet die Botschaft.

Doch wer beginnt, die irische Erfolgsgeschichte zu hinterfragen, wird fündig. Der Erfolg hat eine Kehrseite, ein Teil der Bevölkerung durchlebt eine soziale Krise. Der Wirtschaftseinbruch und die Sparprogramme haben Irland zu einer Dreiklassengesellschaft gemacht: Es gibt die gut Ausgebildeten, vor allem Junge, die kaum brauchbare Jobs finden. Nicht wenige von ihnen sind ausgewandert. Dann gibt es eine Gruppe Wohlhabender, die von der Krise wenig mitbekommen hat. Schließlich gibt es jene, die schon vorher kämpfen mussten und heute fast nichts haben.

Zu ihnen gehört Peter O'Connell. Der Mittfünfziger mit schwarzen Haaren und Seitenscheitel trägt eine blaue Trainingsjacke und nippt im "The Lamplight" an seinem Bier. Dieses Pub liegt in Südwestdublin, in dem Arbeiterviertel Liberties. Zweistöckige Backsteinhäuser reihen sich aneinander. Auf vielen Gebäuden prangen "zu vermieten"-Schilder. Draußen ist es dunkel, es regnet in Strömen. Drinnen läuft eine Quizshow, ein Kandidat gewinnt gerade 3000 Euro.

O'Connell jobbte vor Krisenausbruch 20 Jahre lang als ungelernter Arbeiter. Er montierte Regale. Das Metall kam aus Deutschland, O'Connell schweißte die Platten zusammen und baute sie in Supermärkten und Apotheken auf. Dann macht es 2010 "kapusch", wie er sagt. O'Connell verlor den Job und sucht seither vergeblich eine Stelle. Er bekommt 200 Euro Arbeitslosengeld pro Woche. Freut es ihn, dass der IWF nun abzieht und Irland seine Unabhängigkeit wieder hat? "Das Ganze ändert nichts", antwortet er. Diese "verdammten cuts", die Einsparungen, gingen doch weiter.

Irland fährt seit 2008 ein Sparprogramm, um sich die Bankenhilfen und die krisenbedingt höheren Ausgaben für Arbeitslose leisten zu können. Im ersten Jahr wurde eine Milliarde Euro eingespart. Im zweiten waren es neun Milliarden, im dritten vier und so weiter. Und es geht weiter, auch ohne IWF. Heuer werden wieder 3,1 Milliarden gekürzt. Laut Regierung wird der Staat zwischen 2008 und 2015 ein Fünftel seiner Ausgaben gestrichen haben.

Man darf sich das nicht falsch vorstellen: Irland hat nicht den Sozialstaat abgeschafft. Aber es wurde an allen Ecken und Enden geknabbert. Kinderbeihilfe, Mietzuschüsse und Beiträge für Altenbetreuung wurden gekürzt. Massensteuern wurden erhöht, Steuerfreibeträge für Schlechtverdiener abgeschafft. Die Lasten wurden auf alle Schichten etwa gleich verteilt, worunter die Ärmsten naturgemäß am stärksten leiden. Dass Notenbankchef Honohan sagen kann, die Ungleichheit sei nicht gestiegen, liegt daran, dass im Bankensektor tausende gut bezahlte Jobs abgebaut wurden. Das traf die Topverdiener.

Armut und Ausgrenzung

Der Mix aus Krise und Einsparungen hat Irland zum Land der Langzeitarbeitslosen gemacht. 60 Prozent der Jobsuchenden finden so wie O'Connell seit mehr als einem Jahr keine Arbeit. In der EU ist dieser Wert nur in Kroatien und der Slowakei höher. Irland hat in ganz Europa die höchste Zahl an Kindern, die in einem Haushalt leben, in dem kein Elternteil ein geregeltes Einkommen hat. Von 100 Menschen sind 30 von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. In Österreich sind es 18.

Danach gefragt, versuchen Regierungsbeamte solche Zahlen nicht zu beschönigen. Aber sie verweisen auf den Trend nach oben. Ja, die Arbeitslosigkeit sei mit zwölf Prozent dreimal so hoch wie vor der Krise. Aber zuletzt sei die Quote zurückgegangen. Ja, die Staatsverschuldung habe sich seit 2008 auf 124 Prozent der Wirtschaftsleistung fast versechsfacht, steige aber nicht weiter. Damit werde das Land nach 2015 beim Budget wieder Spielraum haben.

Der IWF rechnet sich's schön

So in etwa steht es auch in dem Abschlussbericht des IWF über Irland. Die IWF-Ökonomen haben Worst-Case-Szenarien berechnet, also etwa untersucht, was geschieht, wenn das Wachstum nicht anzieht. Selbst dann wäre die Staatsverschuldung verkraftbar, schreiben sie. Im Kleingedruckten steht, dass man bei der Berechnung weniger schlimme Szenarien angenommen hat als in ähnlichen Berichten über Griechenland oder Portugal üblich. Es wirkt so, als dürfe das Modellland Irland ja keinen Kratzer abbekommen. (András Szigetvari aus Dublin, DER STANDARD, 25.1.2014)