Aus dem Archiv: Wiens oberster Staatspolizist war empört über die jugoslawischen Anschuldigungen. (Foto: Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik)

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Innenminister Otto Rösch berichtete dem Ministerrat mündlich von der peinlichen Affäre. (Foto: Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik)

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Die Behörden standen dem neuen Phäniomen Terrorismus relativ hilflos gegenüber. (Foto: Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik)

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Wien – Das Bild vom freundlichen, blockfreien Jugoslawien, das viel weniger kommunistisch war als die anderen "Ostblock-Länder" und in das die Österreicher fast so gerne auf Sommerurlaub fuhren wie nach Italien, bekommt dieser Tage Risse. Die Verhaftung des Ex-Geheimdienstlers Josip Perkovic in Kroatien und die Enthüllungen des Historikers Roman Leljak zeichnen das Bild einer kommunistischen Diktatur, die Regime-Gegner im Ausland kaltblütig ermorden ließ.

Und auch das Bild der arglosen Nachbarn, die von Jugoslawien hinters Licht geführt wurden, stimmt nicht mit der Realität überein: Die Beziehungen zwischen Österreich und Jugoslawien waren im Jahr 1972 höchst angespannt, wie Recherchen des österreichischen Historikers Thomas Riegler im Bruno-Kreisky-Archiv ergaben. Jugoslawien warf dem nördlichen Nachbarn vor, eine Basis für Terroristen zu sein – was die Österreicher brüsk von sich wiesen. Etwas später mussten sie etwas kleinlaut einräumen, dass Staatsschutz und Sicherheitsapparat in einem bestimmten Fall kläglich versagt hatten, und sie versicherten eilfertig, dies werde sicherlich nie wieder vorkommen. Thomas Riegler: "Die Vorwürfe waren überzogen. Österreich war von der neuen Situation schlicht überfordert."

In einer lauen Juni-Nacht 1972 hatte sich folgender abenteuerlicher Zwischenfall begeben: Jugoslawische Grenz-Wachebeamten sprachen an der (heute) slowenisch-südsteirischen Staatsgrenze eine Gruppe österreichischer Zöllner an, die sich offenbar relativ weit in jugoslawisches Staatsgebiet verlaufen hatten. Auf den Anruf drehten die Männer wortlos um, die gesamte Gruppe verschwand im Laufschritt in der Dunkelheit.

Beim nächsten Routinetreffen der Grenzbehörden vor Ort brachten die Jugoslawen den Vorfall zur Sprache. Und siehe da: Die Österreicher wussten rein gar nichts von verirrten Kollegen im Grenzland. In den folgenden Tagen entpuppte sich die seltsame Geschichte als eine der skurrilsten Räuberpistolen der Zweiten Republik: Die vermeintlichen österreichischen Zöllner waren 19 verkleidete Kroaten gewesen, die dem verbotenen Ustascha-Kommando "Kroatische Revolutionäre Bruderschaft" angehörten. Die Männer waren, von Österreich kommend, quer durch Slowenien bis nach Bosnien marschiert, wo sie sich im unwegsamen karstigen Gelände zwischen Split, Metkovic und Bugojno wüste Partisanenkämpfe mit Verbänden der jugoslawischen Armee und Miliz lieferten und ein Camp der Territorialstreitkräfte in die Luft jagten.

Lager im Wald

Erst Wochen später fanden die österreichischen Behörden bei St. Lorenzen in der Steiermark ein aufgelassenes Lager mit Munitionskisten und graugrünen Uniformen und bei Schwanberg (Bezirk Deutschlandsberg) einige Waffen. Man hatte offenbar die Basislager der Ustascha-Kämpen gefunden. Am Ende waren es vier an der Zahl, das nördlichste diente als Sammelpunkt. Ab Mitte Juni 1972 hatten sich dort mehrere Personen acht Tage lang aufgehalten.

Das Tito-Regime, dem nur mit Mühe gelungen war, die Angreifer zu überwältigen, bemühte sich zwar, öffentlich die Schießerei in den bosnischen Bergen herunterzuspielen, wie das Nachrichtenmagazin profil damals berichtete. In Wahrheit war man in Belgrad höchst alarmiert und einigermaßen konsterniert, dass die "revolutionären Brüder" ihre Operation in aller Ruhe und unbehelligt auf österreichischem Hoheitsgebiet vorbereiten konnten.

Empörung am Wörthersee

Am 18. August überreichte der jugoslawische Botschafter dem damaligen Bundeskanzler Bruno Kreisky in dessen Urlaubsdomizil in Pritschitz am Wörthersee ein diplomatisch verklausuliertes, jedoch inhaltlich geharnischtes "Aide Memoire", in dem es hieß: "Es steht fest, dass die Terroristen-Diversantengruppe nach Österreich kam und dort ihre Basis bildete und von hier aus die Aktion vorbereitete, dass sie eine teilweise Rekrutierung machte, eine entsprechende Ausbildung durchführte und aus österreichischem Staatsgebiet in das Gebiet der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) eindrang, um Terrorakte durchzuführen und einen Bürgerkrieg hervorzurufen... Die Regierung der SFRJ erwartet von der Regierung der Republik Österreich, dass sie sämtliche Maßnahmen unverzüglich treffen wird, um zu verhndern, dass zukünftig das österreichische Staatsgebiet für jegliche Formen feindlicher Tätigkeit gegen Jugoslawien ... verwendet wird." Das saß.

Kreisky forderte Innenminister Rösch umgehend auf, der Sache nachzugehen. Was Rösch von der Staatssicherheit zu hören bekam, war eine ziemlich flapsige Rechtfertigung. Erstens habe man von jugoslawischer Seite bis dato keine detaillierten Angaben darüber erhalten, was wirklich passiert sei. Und zweitens müsse man schon bedenken: "Sie (die jugoslawischen Stellen, Anm.) über sehen hiebei ganz, dass diese Terroristen über ein unwegsames, fast nicht begehbares Gebiet die Staatsgrenze überschritten haben, während sie auf jugoslawischem Gebiet auf öffentlichen Straßen hunderte Kilometer zurückgelegt haben ... sie wurden, wie gar nicht anders denkbar, bewirtet und mit Treibstoff versorgt, konnten sich in Bosnien bewaffnet versammeln und ihre terroristische Tätigkeit durchführen." Und überhaupt: "Die österreichische Bevölkerung mit ihrer Exekutive hat durch ihre Regierung seit dem Jahre 1945 vor aller Welt bewiesen, dass sie keiner Aufträge aus Moskau oder Washington bedarf, um ihre Freiheit zu erkämpfen und zu erhalten und die innere und äußere Sicherheit des Staates zu gewährleisten." Also schrieb der damalige Chef der Wiener Staatspolizei, Oswald Peterlunger, an Rösch.

Sprachprobleme

In seinem mündlichen Ministerratsvortrag gestand Rösch freilich ein, dass neun Mitglieder der Gruppe in Salzburg gewohnt hatten, dort arbeiteten  und sich rund um den kroatischen katholischen Seelsorger Pater Cecelja aufhielten, der offenbar eine zentrale Figur in der kroatischen Gastarbeiter-Clique bildete. Es habe aber „keine Anhaltspunkte gegeben“, dass dieser Pater (er wurde später beim Heimaturlaub verhaftet) über die terroristischen Umtriebe der Männer bescheid gewusst habe. Rösch stellt in seinen Ausführungen etwas resigniert fest, dass man nicht recht weiterkomme und „die Sprachbarriere die Sicherheitsbehörden manchmal vor unlösbare Aufgaben stellt“. Allerdings: Die Waffen stammten nicht aus Österreich, sie waren im Ausland gekauft worden.

In den folgenden Monaten stellte sich heraus, dass Österreichs Sicherheitsapparat „mit der neuen Bedrohung durch Terrorismus noch überfordert war“, wie Thomas Riegler sagt. Die kroatischen Untergrundkämpfer dagegen waren bereits erstaunlich gut international vernetzt: Die Aktion war in Australien geplant, in mehreren europäischen Ländern vorbereitet und schließlich über Österreich gestartet worden.

Eingeständnis

So erging denn am 13. Jänner 1973 ein etwas kleinlautes Aide Memoire vom Wiener Ballhausplatz retour an Belgrad,m das so gar nicht zur flapsigen Reaktion der Staatspolizei ein halbes Jahr früher passen wollte: Österreich bekräftigte damit seine „Entschlossenheit zur bedingungslosen Unterbindung jeder Art von Terrorismus, von wo immer er komme und gegen wen er immer gerichtet sei“. Man sei "entschlossen, unter Ausnutzung aller gesetzlich zur Verfügung stehenden Mittel alle Aktivitäten hintanzuhalten, die von österreichischem Territorium aus auf eine gewaltsame Änderung der Rechts- oder Gesellschaftsordnung eines anderen Staates zielen". Zwischen den Zeilen war das ein Eingeständnis des Versagens des österreichischen Staatsschutzes, und es wurde auch umgehend eine Arbeitsgruppe zwischen den beiden Innenmiisterien gebildet.

Was die Österreicher zum damaligen Zeitpunkt nicht durchschauten: „Die jugoslawische Seite spielte ein doppeltes Spiel“, formuliert Riegler. Das Bundesland Kärnten wurde damals von einer Serie mysteriöser Sprengstoffattentate erschüttert. Die Durchführung der Attentate wurde von der slowenischen Geheimpolizei unterstützt. Am 18. September 1979 war das Rathaus von Völkermarkt, in dem sich eine Ausstellung über den Kärntner Abwehrkampf befand, Ziel eines Terroranschlags der UDBA, bei dem die beiden slowenischen Agenten sich selbst und einen Museumsmitarbeiter schwer verletzten. In die Fassade des Rathauses wurde ein Loch gerissen. Die beiden UDBA-Agenten wurden 1980 zur vier Jahren Haft verurteilt, jedoch ein halbes Jahr später gegen zwei Agenten des österreichischen Abwehramtes ausgetauscht. (Petra Stuiber, DER STANDARD, Langfassung, 24.1.2014)