Heinz-Christian Strache hatte eine rechte Freude, als ihm treue Gesinnungsgenossen seinerzeit in Tirol eine Krachlederne schenkten. Immerhin ließ die FPÖ dort ja auch "Heimatliebe statt Marrokaner-Diebe" plakatieren. Und wie sollte man Heimatliebe besser dokumentieren, als dass man sich draufsetzt?

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"Lang, lang ist's her" klingt ein einstmals irisches Volkslied aus dem 18. Jahrhundert, das inzwischen als deutsches Volkslied geführt wird. Lang ist es her - und: Aus den Augen, aus dem Sinn. Dennoch muss dem kulturellen Erbe, das hierzulande auch als nationales Erbe stets aufs Neue gefeiert wird, die Frage nach der Herkunft gestattet sein.

Der Aufschrei mit anschließendem Aufruhr zu einem von der Tiroler Landesregierung bestellten Gutachten des Historikers Michael Wedekind zum unzweifelhaften nazistischen Nachlass Tirolerischer Volkskultur macht ex cathedra amtlich, was seriöse, engagierte, mit der Materie befasste Wissenschafter und Autoren längst laut erzählten. Immerhin: Das Ergebnis ist, dass es nun einen über fünf Jahre laufenden Fonds geben wird, aus dem die Tirolerische Volkskultur die ihr inzwischen zur Pflicht gemachte "Aufarbeitung" ihrer Geschichte finanzieren wird.

Ahistorische Reflexion

Spätestens an diesem Punkt lässt sich generell auf die austriakische Praxis historischer Reflexion aller an der Kulturproduktion Beteiligten fragen. Wie kann es sein, dass die kulturelle Erzählung Österreichs (oftmals Unesco-würdig) und die einzelner Regionen derart ahistorisch bedient werden. Wie ist es möglich, Dirndl, Tracht, Blasmusik, einzelne Bräuche derart laut und ertragreich zu feiern, ohne auch nur einen kurzen Moment auf deren kontextuelle Herkunft zu achten. Das lässt sich fragen.

Kaum ein Land mit faschistischer und nationalsozialistischer Vergangenheit hat sich eine derart perfekte Tradierung von Kontinuitäten erlaubt. Ohne Punkt und Komma waren die Kulturwissenschafter (Volkskundler, Germanisten, Historiker und sogar Juristen) bereits ab 1952 wieder in Amt und Würden, ließen bisweilen ungeniert ihre Forschungen, die sie für das SS-Ahnenerbe Heinrich Himmlers durchführten, in die Nachkriegsdeutungen einfließen. Diese Paladine schufen sich entrischerweise eine Reihe von Nachfolgern, die es vereinzelt zum berühmten Vatermord brachten, es jedoch verabsäumt hatten, wissenschaftshistorische Details auch nur annähernd zu besehen.

Archaisch, wild, heidnisch

Und so kommt es recht entspannt zur Tradierung dessen, was die Nazi-Paladine einst über Bräuche erfanden: Archaisch, wild, authentisch, heidnisch seien diese, ebenso Musik und Volkstanz. "Im Gleichschritt, Marsch" wurden Trachten neu erfunden, Musikstücke zu Ehren von Gauleitern komponiert, Juden alle Nutzung von Volkskultur verboten, obwohl diese sie zum Teil besser dokumentierten als alle Volkskundler damals und nachher.

Noch immer gilt diese Volkskultur als typische, authentische österreichische Volkskultur. "Tschindarassa bumm dulje" machte es dann, als Tirols Erzählung mit einer CD des Tiroler Komponisten und Gauleiterfreundes und -verehrers Josef Eduard Ploner sogar in der Wochenzeitung Die Zeit ausführlich behandelt wurde.

Und nun? Jetzt gibt es einen Erinnerungsfond des Landes, der vom Rest der Republik kaum registriert wird. Brauchforschung gibt es so gut wie nicht mehr, die Geschichten kursieren weiter oder werden in alter (Nazi-)Weise unbefragt tradiert: Alles ist wild, arachaisch, heidnisch, vertreibt die bösen Geister, den Winter und so fort. Alle historischen Details wie die Gegenreformation und der christliche Eifer der Habsburger oder politisch induzierte Bräuche (wie der 1. Maiaufmarsch oder Arbeiterkultur generell) wurden schlicht ausgeblendet und fanden somit auch keinen Eingang in die kulturelle Erzählung Österreichs. Sogar die Deutung zur Kaisersemmel wurde dem Himmler'schen Sonnenradkult gemäß vom oberösterreichischen Volkskundler Ernst Burgstaller als heidnisches Gebäck in einem Artikel für eine Zeitschrift ausgelegt.

Und jetzt, was lernen wir daraus? Dass "die imperialen Prunksäle der Wiener Hofburg [...] einen einzigartigen Abend voll Glanz, Glamour und Traditionen" garantieren, so steht es auf dem Portal der Ausrichter des Wiener Akademikerballs, die sich als die wahren Traditionshüter sehen. Und dass wir eine immer wieder aufs Neue nach alter Art und Weise tradierte Volkskultur haben, mit der wir auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes drängen; dass die Burschenschaften, allen voran im Stechschritt die Teutonia, zu germanischen Julfeiern und Sonnwendfeiern einladen, die inoffizielle Hymne "Dem Land Tirol die Treue" revanchistische Töne prononciert und wir so tun, als gäbe es nur ein nationales Erbe, aber kein Nazi-Erbe bei der Erzählung von Kultur oder kurz gesagt: von kollektiver Identität. (Elsbeth Wallnöfer, DER STANDARD, 24.1.2014)