Seit der Orangen Revolution 2004/2005 gab es in der Ukraine bei allem Streit über die Ausrichtung des Landes einen stillschweigenden Konsens: Unabhängigkeit und Einheit des Staates seit dem Ende der Sowjetunion 1991 sind zu kostbar, als dass sie durch eine ultimative Konfrontation aufs Spiel gesetzt werden dürfen; selbst im kritischsten Moment muss Verständigung möglich sein.

Dieser Konsens ist mit dem Tod von drei Demonstranten dramatisch in Gefahr. Die Hauptverantwortung dafür trägt Präsident Wiktor Janukowitsch. Nach seinem Schwenk von der EU zu Russland versuchte er zunächst, die breite Protestbewegung auszusitzen – offenbar auch auf dringenden Rat seines Mentors Wladimir Putin. Da dies nicht gelang, soll die Opposition nun mit einem verschärften Demonstrationsrecht und eingeschränkter Meinungsfreiheit kriminalisiert werden. 

Dies rief nationalistisch-extremistische Kräfte auf den Plan, die in der Ukraine eine lange Tradition haben. Dass deren Gewaltaktionen der Staatsmacht nicht ungelegen kommen, darf man annehmen. Denn sie liefern ihr beste Argumente für noch härteres Vorgehen.

In diese zynische Logik der Provokation fügen sich auch die tödlichen Schüsse auf Demonstranten. Aus welchem Lager immer sie abgefeuert wurden: Janukowitsch muss jetzt beweisen, dass ihm Land und Volk wichtiger sind als Willfährigkeit gegenüber dem großen Bruder in Moskau. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 23.1.2014)