Einmal abgesehen von karibischen Häfen im Winter haben die baugleichen Schwesterschiffe Seadream I und II vor allem ein Ziel: Kreuzfahrern für ein paar Tage die schöne Illusion zu bieten, sie wären auf einer Privatyacht.
Möglich wird das in erster Linie durch die Dimensionierung: Konzipiert für 112 Passagiere und 95 Crewmitglieder, sind die Schiffe gerade so groß, dass die Mitfahrgelegenheit noch irgendwie leistbar bleibt; aber eben auch klein genug, dass die Bezeichnung "Yacht" tatsächlich passend ist: Auf ihrer Paraderoute von Antigua nach Puerto Rico steuert die Seadream Häfen an, in denen größere Kreuzfahrtschiffe niemals ankern könnten. Perfekte Orte also, um endlich ein Kursbuch der Hochstapelei für Anfänger zu entwickeln:
- Lektion 1: Schauen Sie von Prominenten ab! Auch Jane Fonda und Sir Cliff Richard lernten auf der Seadream, wie es wäre, mit einer Privatyacht unterwegs zu sein. Und wie es dann ist, dieses Feeling ein paar Tage lang mit vergleichsweise wenigen Gleichgesinnten zu teilen.
- Lektion 2: Verhalten Sie sich so, als wären luxuriöse Details das Normalste der Welt für Sie! Zum Beispiel in Ihrem Pyjama mit eingesticktem Vornamen in der passenden Größe. Der wartet bereits im Schlafzimmer einer der prächtigen Suiten oder im komfortablen Stateroom neben dem stets gut gekühlten Champagner im Salon oder im marmorgetäfelten Badezimmer.
- Lektion 3: Essen Sie nur Nachtisch, der vergoldet ist! Etwa das sogenannte 24-Carat Gold Leaf-Topped Fondant au Chocolat mit Vanilleeis. Es kommt manchmal als letzter Gang einer Speisenfolge bestehend aus: hausgemachter Gänseleberpastetenterrine mit Birnenkompott, Brioche und Portwein-Sauce gefolgt von gegrilltem Heilbuttfilet mit Ingwer, Spargel und Kaviar-Topping. Zusatzübung für Fortgeschrittene: Man lasse sich schon den Frühstückskaffee an Deck servieren, um den oft spektakulären Sonnenaufgang zu genießen, oder bei Vollmond und anbrechender karibischer Nacht eben das Dinner.
- Lektion 4: Geben Sie vor, Sie hätten Personal oder wären sogar gutes gewohnt! Die Crew wird Sie nicht nur bereits vor dem Einschiffen korrekt mit Ihrem Namen anreden, sondern auch über individuelle Vorlieben Bescheid wissen. Für Sportliche heißt das: Sie werden schon in den nächsten Stunden mit Jetski oder einem Segelboot von der Yacht in die Wellen aufbrechen können. Sobald in einer Bucht der Anker gefallen ist, wird die Heckklappe geöffnet zur eigenen Wassersport-Basis. Die zwischen Yacht und Städtchen pendelnden Tenderboote eignen sich zudem für Shoppingtouren und bieten ausreichend Platz für Beutestücke.
- Lektion 5: Sollten Sie selber eher ein "stilles Wasser" sein, umgeben Sie sich mit viel prickelndem! Reichlich Gelegenheit dazu haben Sie im Whirlpool an Deck. Tipp: Mit einem weiteren Glas prickelnden Champagners in der Hand wirken Sie noch entspannter, wenn Sie den Müßiggang mit Meerblick zelebrieren.
- Lektion 6: Wenn möglich: Ankern Sie in den kleinsten Buchten immer neben russischen Oligarchen! Im Testfall ergab sich das glücklicherweise automatisch vor der Insel Saint Barths, wo Roman Abramowitsch schon mit seiner Luxusyacht Eclipse vor Anker lag. Derlei ist freilich nicht immer möglich. Diesfalls steuere man einfach grundsätzlich Ziele an, die so exklusiv sind, dass nur wenige Auserwählte dorthin gelangen. Die Bauart der Seadream macht es möglich, auch durch sehr enge Passagen zu navigieren, um in idyllischen Buchten unter seinesgleichen zu bleiben.
- Lektion 7: Zeigen Sie sich ruhig einmal gelangweilt durch den Luxus an Bord! Man wird Abenteuer abseits der Yacht für Sie finden: etwa mit dem Helikopterflug über dem brodelnden Schlund eines Vulkans, beim Schwimmen mit Delfinen oder bei einer rustikalen Mountainbike-Tour in den Tropen, geführt von einem Profi.
- Lektion 8: Schlafen Sie an Deck,obwohl Sie sich eine Kabine auf der Seadream leisten konnten! Spätestens nach Ihrem Kasino-Besuch an Bord ist ein vollwertiges, bequemes Bett im Freien gemacht, dessen Rückenteil Sie aufstellen können. Praktisch, funkeln doch die Sterne über der karibischen See ohne Lichtverschmutzung besonders hell.
- Lektion 9: Schließen Sie Bekanntschaften mit jenen, die auch so hart wie Sie "Wir spielen Alltag auf einer Privatyacht" üben! Falls es Ihnen nicht gleich in den ersten Tagen gelingt - beim "Champagne and Cavier Splash" im seidenen Sand der White Bay auf der Insel Jost van Dyke passiert es bestimmt. Ist halt leider ein wenig spät: Dort feiern die Passagiere beim Barbecue den Abschied, und die Crew zieht am letzten Tag der Reise nochmal alle Register ihres Könnens.
- Lektion 10: Fassen Sie das aus Lektion 1 bis 9 Gelernte zusammen und relativieren Sie es wieder! Die Seadream hat nämlich ein ziemlich ausgefuchstes Konzept, um Hochstapler zu enttarnen. Erstens: Zumindest die männlichen unter ihnen tragen auffallend oft Sakko und Krawatte. Das ist auf diesem Schiff nicht nur unnötig, sondern würde sogar auffallen. Zweitens: Hochstapler geben immer mehr Geld aus, als sie haben. Auch völlig unnötig auf dieser Yacht. Obwohl es sich - wie unschwer zu erkennen ist - um ein Luxusschiff handelt, bedient sich diese Kreuzfahrt der völlig unüblichen Praxis des All-inclusive-Angebots. Wenn hier häufiger von Champagner die Rede war, dann nur deshalb: Er ist ebenso im Reisepreis enthalten wie Jetskifahren, Segeln und - theoretisch sogar das Trinkgeld. Wer dennoch eins gibt und nicht groß drüber spricht, hat gerade die erste Lektion in Sachen Tiefstapelei bestanden.
(Andreas & Manfred Ruthner, Rondo, DER STANDARD, 24.1.2014)