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"Die Diskrepanz zwischen der offiziellen Lehre und den Ansichten vieler Gläubigen ist groß."

Foto: APA/Hochmuth

Wien/Vatikanstadt - Der Familienbegriff der römisch-katholischen Kirche dürfte sich erheblich von jenem ihrer Mitglieder unterscheiden. Das zeigen die Auswertungen des vatikanischen Familien-Fragebogens in Österreich. Vor allem bei Empfängnisregelung und wiederverheirateten Geschiedenen orten mehrere Diözesen eine Diskrepanz zwischen Lehre und Leben. Auch homosexuelle Partnerschaften werden längst akzeptiert.

Mehr als 34.000 Menschen haben laut Kathpress den Fragebogen zur Vorbereitung der Familiensynode ausgefüllt, wobei die Beteiligung in den einzelnen Diözesen massiv schwankte. So kamen aus Graz-Seckau gleich rund 26.000 Antworten, aus der Diözese St. Pölten gerade einmal rund 150. Grund dafür dürfte sein, dass einige Diözesen einen vereinfachten Fragebogen online stellten und auf unterschiedlichen Wegen verbreitet haben. Andere begnügten sich mit dem Originaldokument.

Rückmeldungen "äußerst vielfältig"

In der Erzdiözese Wien gab es zumindest die Möglichkeit, den Originalfragebogen auch online zu beantworten, was in rund 8.000 Antworten resultierte. Auch ganze Gemeinschaften, wie etwa Orden und Pfarrgemeinderäte, konnten via "Gruppenfragebogen" antworten, was österreichweit ausgiebig in Anspruch genommen worden sei, berichten die Diözesen. Die Rückmeldungen seien "äußerst vielfältig", heißt es. Analysiert worden seien diese von Theologen und weiteren Experten.

"Die Diskrepanz zwischen der offiziellen Lehre und den Ansichten vieler Gläubigen ist groß", hieß es nach der Analyse in einer Aussendung der Erzdiözese Wien. Dies bestätigen auch erste Ergebnisse der Grazer Auswertung: So gaben 68 Prozent an, "teilweise" nach der Lehre der Kirche zu leben, nur 21 Prozent tun dies "ganz". Dennoch wollen 89 Prozent den katholischen Glauben an ihre Kinder weitergeben.

Sprengstoff könnten jedoch die Antworten zu "heißen Eisen" sein, die in Graz ebenfalls bereits ausgewertet wurden: So befürworteten 96 Prozent die Weitergabe von Sakramenten für wiederverheiratete Geschiedene. 71 Prozent teilen die "ablehnende Einstellung der katholischen Kirche gegenüber gleichgeschlechtlichen eingetragenen Partnerschaften" nicht. Und 95 Prozent finden, die Kirche sollte die Verwendung von hormonellen Methoden der Empfängnisverhütung oder Kondomen akzeptieren.

Liberaler als Kirchenlehre

In der Diözese Innsbruck, die wie Graz einen vereinfachten Fragebogen online gestellt hat, sind 5.092 Erhebungsbögen eingelangt. Das dortige Resümee laut Aussendung: "Die größte Diskrepanz zwischen Lehre und Wirklichkeit zeigt sich in Fragen der Empfängnisregelung, des Umgangs mit Menschen in zweiter Ehe und in der Bewertung der Homosexualität, wobei sich hier in der Bewertung deutlich ein Altersunterschied feststellen lässt."

Auch in den anderen Diözesen zeigen sich die Katholiken liberaler als die Kirchenlehre: Auch in Kärnten - 1.700 Gläubige der Diözese Gurk-Klagenfurt haben teilgenommen - gaben fast vier Fünftel (78 Prozent) der Befragten an, die ablehnende Haltung der Kirche gegenüber gleichgeschlechtlichen eingetragenen Partnerschaften nicht zu teilen. Ebenso sind die Gläubigen dafür, dass Rom seine Einstellung gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen überdenkt. 96 Prozent sprechen sich gegen einen Ausschluss von der Kommunion aus.

Schlusslicht bei den Rückmeldungen ist mit 156 Antworten die Diözese St. Pölten, die "Familienbischof" Klaus Küng leitet. Nur wenige niederösterreichische Katholiken haben eine genaue Kenntnis von der Kirchenlehre zu Ehe und der natürlichen Empfängnisregelung. Von vielen werde "die komplizierte und dadurch schwer verständliche Formulierung" als Grund dafür angegeben. Große Unterschiede in der Handhabung der Kirchenregeln wurden kritisiert.

"Vehemente Kritik an Kirche"

"Ich nehme Schmerz und Hoffnung wahr", meinte Kardinal Christoph Schönborn in einer ersten Stellungnahme via Kathpress: "Es bewegt mich sehr, dass so viele Menschen geantwortet haben, auch wenn oft vehemente Kritik an der Kirche geübt wird." In der Ernsthaftigkeit der Antworten zeige sich eine Verbindung von kritischem Geist und tiefer Sorge für die Zukunft der Familien und der von familiären Problemen betroffenen Menschen.

Österreichs Bischöfe werden bei ihrem Ad-limina-Besuch (27. bis 31. Jänner) im Vatikan alle Antworten an das Generalsekretariat der Bischofssynode übergeben und Papst Franziskus persönlich über das Ergebnis informieren. (APA, 21.1.2014)