Mit Miščević sprach mit Andrej Ivanji.

STANDARD: Ist Serbien bereit für den Beginn der Verhandlungen?

Miščević: Jawohl. Von Anfang an wurden wir von unseren Partnern aus der Europäischen Kommission bestens beurteilt, insofern es darum geht, wie die Mitglieder unseres Teams vorbereitet sind. Das ist allerdings eine Tatsache, die die europäischen Institutionen hinsichtlich der institutionellen Kapazität Serbiens schon seit längerem hervorheben. Wir haben eine erfahrene Administration, die seit 2004 an der Harmonisierung der einheimischen Gesetzgebung mit den juristischen Errungenschaften der EU arbeitet.

STANDARD: Das Verhandlungsteam ist ja ziemlich groß.

Miščević: Das Verhandlungsteam Serbiens besteht aus etwa 2000 erfahrenen und kompetenten Personen, und ihnen werden sich bald auch die Mitglieder des engeren Verhandlungsteams zugesellen, die gemeinsam mit mir den Prozess der Verhandlungen über die einzelnen Kapitel koordinieren werden. Im Laufe des nächsten Jahres erwarten uns etwa 50 teils explanatorische, teils bilaterale Screenings.

STANDARD: Wo könnte es bei den Verhandlungen stocken? Ist das Kapitel 35 definiert, in das die Probleme rund um den Kosovo vorerst kommen sollen, und das erst am Ende geschlossen werden soll?

Miščević: Zweifelsohne stellen die Kapitel 23, 24, die sich auf die Grundrechte, die Herrschaft des Rechts, Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit beziehen, die größte Herausforderung dar. Was sie von den anderen unterscheidet, ist, dass in ihnen kein EU-Recht existiert, sondern die gute Praxis, die die Mitgliedstaaten der EU kennen und von uns erwarten, dass wir sie in das heimische System einbeziehen. Sie sind wichtig, weil sie ihrem Wesen nach die Grundlage eines jeden modernen europäischen Staates darstellen.

Das Kapitel 35 ist eine Herausforderung an sich, weil es ein Novum sowohl für uns als auch für die Europäische Kommission darstellt, aber es ist uns gemeinsam gelungen zu definieren, was sein Inhalt sein wird.

STANDARD: Wie stark ist die Unterstützung in Serbien zu Beginn der Beitrittsverhandlungen?

Miščević: Was die politische Unterstützung betrifft, so reden wir heute von einem Konsens über die europäische Zukunft Serbiens. Im Augenblick setzen sich 90 Prozent der Abgeordneten im Parlament für die europäische Integration ein, und das ist eine gute Voraussetzung für die Durchführung der Reformen. Wenn es um die Bürger geht, so liegt die Unterstützung bei 51 Prozent, wobei 68 Prozent die damit verbundenen Reformen für unbedingt notwendig halten.

STANDARD: Das kann sich erfahrungsgemäß ändern.

Miščević: Obwohl bisher die Unterstützung durch die Bürger mehr oder weniger konstant war, kann sie, je nach den wirtschaftlichen Verhältnissen und dem Stand der Verhandlungen, variieren. In fast allen Ländern hat sich laut Umfragen die Unterstützung während des Prozesses vermindert, aber ich glaube, dass die Ergebnisse der Volksbegehren über die Mitgliedschaft relevant sind, bei denen die Bürger keines Landes nein zur EU gesagt haben. (DER STANDARD, 21.1.2014)