Seit sich herumgesprochen hat, dass der Beginn des Ersten Weltkriegs sich heuer vor hundert Jahren begab, reißt auch auf dem Boulevard das Interesse an Geschichte nicht mehr ab. Da sich Geschichte leider auf die Vergangenheit bezieht, Neues also oft nicht mehr aufzutreiben ist, gilt es, Altes so aufzubereiten, dass es wenigstens wie neu aussieht. Im Bemühen, sine ira et studio den Vogel abzuschießen, erschien "News" diese Woche mit der Titelgeschichte "Das Attentat auf Franz Ferdinand - Mein Onkel erschoss Österreichs Thronfolger - NEWS fand den Erben des Mörders".

Dieser Schuss des Onkels auf "Österreichs Thronfolger" erwies sich als ein Selbstschuss ins Knie von "News", der zum Glück bisher keinen Weltkrieg nach sich zog. Denn der Fund des Mördererben erwies sich rasch als alter Hut. Andere Medien sind - DER STANDARD berichtete - schon im Juli 2013 auf einen gewissen Gavrilo Princip, "genannt Bato", gestoßen, aber vielleicht nicht mit so viel geschichtswissenschaftlichem Ernst wie das Magazin. "Der 61-Jährige ist nicht nur Namensvetter des Attentäters, sondern auch sein leibhaftiger Großneffe". Nur eines ist der Leibhaftige nicht: "Erbe des Mörders". Jedenfalls ist in dem aufwühlenden Bericht von keiner Erbschaft die Rede, die Gavrilo Nr. 1 der Nr. 3 hinterlassen hätte.

Immerhin: "Er ist es, der als einziger Englisch spricht, ja auch Französisch könne er und ein paar Brocken Deutsch". Für einen Ort wie Istocno Novo Sarajevo, wo ihn der "News"-Reporter aufgespürt hat, beinahe überqualifiziert, aber "Fernweh kenne er, der in Cambridge studiert und in Frankreich unterrichtet hat, nicht. Zum Treffen mit 'diesen Österreichern, die eigens hierher gefahren'" und dennoch um ein halbes Jahr zu spät gekommen sind, "bringt er drei groß gewachsene Freunde mit". Die Angst vor "News" muss dort erheblich sein.

Aber alles blieb friedlich, entpuppte sich doch einer der drei "groß Gewachsenen als" der serbische Historiker Zeljko Przulj, der "hinter dem Attentat eine internationale Verschwörung ortet". Zu diesem Zweck hat er - ein Glücksfall für "News" - "soeben auf Serbisch einen Roman über die historischen Ereignisse im Juni 1914 fertiggestellt". In diesem brachte der Historiker als Romancier oder der Romancier als Historiker endlich Licht in ein Dunkel, das die Geschichtswissenschaft bisher nicht zu erhellen vermochte.

"Es gab mehrere Gründe, dass man Franz Ferdinand auch in Wien loswerden wollte. Seine Gattin Sophie Chotek galt den Habsburgern ihrer Abstammung nach als nicht ebenbürtig, auch die Kinder waren nicht erbberechtigt. Das missfiel vielen Vertretern des Hofes" - Grund genug, ihre Ermordung in Auftrag zu geben, denn wo es um Ebenbürtigkeit und "Abstammung" ging, verstanden die Habsburger keinen Spaß. "Darüber hinaus war Franz Ferdinand eng mit der Armeespitze verflochten, die Angst vor einem militärischen Putsch war groß". Weshalb man ihn "bewusst in den Tod schickte", wie der "News"-Reporter ahnte.

Wie Gavrilo Princip Nr. 1 in diese weltpolitische Intrige geriet? Das war leicht: als "das Instrument einer größeren Verschwörung", in der, soll sie ihrem Namen Ehre machen, das perfide Albion nicht fehlen darf. "Gut möglich, dass gewisse Strömungen in Wien mit England kooperierten. Dort fürchtete man die Großmachtbestrebungen Franz Ferdinands. Er wollte ja die Vereinigten Staaten von Österreich gründen". Aber dieses Start-up "war wohl vielen ein Dorn im Auge".

Melancholisch lässt "News" diese weltgeschichtlichen Betrachtungen ausklingen. "'Ich mag Europa'", sagt Gavrilo Princip Nr. 3 "achselzuckend zum Abschied", "'doch ich gehöre hierher. Auch wenn ich jetzt der letzte Princip in Sarajevo bin.'" "News" wird schon wieder einmal vorbeikommen.

Das Magazin hat sich immerhin mehr angestrengt als die "Kronen Zeitung", die nicht weiter fuhr als in ihr Archiv, um am Sonntag "zum 125. Jahrestag der Tragödie von Mayerling" eine Geschichte zu exhumieren, mit der sie schon 1992 einigen Erfolg hatte. Verholfen dazu hat ihr - ältere Leserinnen und Leser mögen sich noch erinnern - "der Linzer Möbelhändler Helmut Flatzelsteiner", er "entwendete 1992 Marys Gebeine und ließ diese gerichtsmedizinisch untersuchen". Dieser Privatinitiative war leider kein Erfolg beschieden. "Historiker, die sich mit der Materie befasst haben, können sich nicht erklären, warum man die Chance auf eine endgültige Klärung des Falles damals nicht wahrgenommen hat". Welche Chance, die Geschichte bald wieder aufzuwärmen! (Günter Traxler, DER STANDARD, 18./19.1.2014)