Erika Runge plädierte für ein "neues Verhältnis zwischen Mann und Frau".

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Erika Runge: Frauen. Versuche zur Emanzipation.
Suhrkamp 1970.

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Als die deutsche Schriftstellerin Erika Runge 1969 Frauen aller Altersgruppen zu ihren Erfahrungen mit Gleichberechtigung befragte, war sie voller Zuversicht. Mitten im Aufbruch der 68er-Revolten, der unzähligen Demos, Arbeitskreise und Sit-ins zum Thema "Frau in der Gesellschaft" glaubte sie, dass sich diese Stimmung im Alltag der Frauen bereits widerspiegeln und erste Verbesserungen ihrer Situation zeitigen würde. "Ich wollte Beispiele gelungener Emanzipation sammeln, Vorbilder zeigen und Mut machen", schreibt sie im Nachwort ihres Buches "Frauen. Versuche zur Emanzipation". "Aber mein Vorsatz war zu optimistisch. Ich habe keinen Fall solcher Emanzipation gefunden."

Protokollierte Lebensgeschichten

Die Berichte der siebzehn Frauen im Alter von vierzehn bis vierundachtzig Jahre, die Runge im Buch protokolliert, beleuchten, wie krass die Kluft zwischen der erträumten und verbrieften "Befreiung der Frau" und ihrem tatsächlichen gesellschaftlichen Status damals war. Deutlich wird dabei vor allem, dass es weniger an den Frauen selbst lag, als vielmehr an den Umständen, unter denen sie sich behaupten mussten. Natürlich, so räumt die Autorin ein, seien die Geschichten geprägt vom Milieu, aus dem die Frauen stammten und jenem, in dem sie zur Zeit der Interviews lebten. Sie seien gefärbt von ihren Ausbildungen, ob sie einem Beruf nachgingen oder Hausfrauen waren und ob sie alleine oder in Beziehung lebten.

Dennoch – all dieser Unterschiede zum Trotz – wären die Bedingungen, die ihnen von der Gesellschaft diktiert wurden, für die nicht oder nur ungenügend erfolgte Emanzipation ausschlaggebend, meint Runge. Und die hätten mit realisierbarer Gleichberechtigung nur ansatzweise zu tun, wie sich am § 1356 des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches von 1958 ausdrückte: "Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist".

"Die Gesellschaft lässt die Frauen im Stich"

Die Berufstätigkeit von Frauen wurde also auch auf legistischer Ebene lediglich als Übergangslösung oder bestenfalls Ergänzung betrachtet, beklagt Runge, ernst genommen wurde sie nicht. Dies offenbare sich an den niedrigeren Frauenlöhnen ebenso wie an den fehlenden Kindergärten, Hortplätzen und Ganztagsschulen. Spätestens „wenn Kinder da sind, hört die Gleichberechtigung völlig auf". Die Gesellschaft lasse die Frauen im Stich, „sie muss um der Kinder Willen auf die Entwicklung ihrer intellektuellen und schöpferischen Fähigkeiten verzichten oder sie verkümmern lassen". Viele Frauen glaubten, persönlich zu versagen, weil sie den enormen Anforderungen nicht entsprechen konnten. "Aber ist es ihre Schuld?"

Und wenn es nicht an den Frauen liegt, wer trägt dann die eigentliche Verantwortung? "Ist der Mann der Hauptgegner?", fragt die Autorin. Oberflächlich betrachtet schaue es danach aus, denn zumindest der Spagat Kinder, Beruf und Selbstverwirklichung sei für den Großteil der Männer kein Problem. Sie könnten zumeist alles haben. "Er hat ja eine Frau zuhause, die ihm Hausarbeit und Kinder abnimmt, die ihn wieder fit macht für den Kampf um den besseren Posten. Er kann den Druck, dem er als Lohnabhängiger ausgesetzt ist, an die Frau weiterreichen und erleichtert dadurch seine Lage".

Auswege aus der Geschlechterherrschaft?

So weit, so schlecht. Nur – weiterbringen würde uns das Abstempeln der Männer als Sündenböcke nicht. Genauso wenig sei das Nacheifern ihres Verhaltens ein Ausweg. Es könne doch nicht sein, dass die Emanzipation der Frau darin bestehe, "dass sie dem Manne gleich Karriere macht und dafür natürlich doppelte Kraft aufbringen oder eben auch jemanden ausnutzen muss: eine andere Frau, eine gute Oma oder eine Hausangestellte? Angleichung der Frau an den Mann und Unterwerfung an die Prinzipien von Konkurrenz und Profit sind noch keine Emanzipation", konstatiert Runge. Und persönliche Entwicklung, die auf der Unterdrückung anderer aufbaut, sei nicht menschenwürdig.

Zur Lösung des Dilemmas plädiert Erika Runge für ein "neues Verhältnis zwischen Mann und Frau". In dem Maß, wie die Frauen selbstbewusster werden und lernen müssten sich zu behaupten, zu organisieren und durchzusetzen, sollten auch die Männer ihre alten patriarchalen Muster über Bord werfen, denn auch sie seien in ihren Rollen unfrei. Erst dann könnten sie gemeinsam "neue Bedingungen schaffen, unter denen sich die Menschen zu beruflicher, ökonomischer, psychischer und sexueller Selbstbestimmung entwickeln – Männer UND Frauen".

Wahlfreiheit

45 Jahre nach Erscheinen des Buches lassen sich - trotz zahlreicher realpolitischer und juridischer Veränderungen - weiterhin Parallelen zu aktuellen Frauenleben  ziehen. Damals wie heute ist es vor allem das Empfinden vieler Frauen, ein Geschlecht zweiten Ranges zu sein. Bei der Gestaltung ihres Lebens fühlen sie sich eingeschränkt, indem ihre Wahlfreiheit im Falle von Kind und Karriere entweder Verzicht (auf das eine oder das andere) bedeutet oder ihnen Arrangements von Doppel- und Dreifachbelastung abverlangt, die an ihren Kräften zehrt. Wie und ob sie diesen Spagat schaffen, wird zumeist noch immer in ihre Verantwortung gelegt, von einigen Fällen gelebter Partnerschaft abgesehen. Kein Wunder also, wenn Frauen auch heute noch die Schuld bei sich suchen, wenn es nicht so gut läuft. Die Protokolle des Buches sind ein historisches Zeitdokument, in dem sich bestürzenderweise die Lebensrealität heutiger Frauen wiederfindet. (Dagmar Buchta, dieStandard.at, 19.1.2014)