Bild nicht mehr verfügbar.

Es gibt wenige Autoren, die nach 1945 so stark polarisierten wie Arno Schmidt.

Foto: archiv

Solche Prosa hatte es nach 1945 in Deutschland nicht gegeben. Prosa, eigensinnig, eigenständig, schnoddrig und raffiniert, facettenreich, imprägniert von Literatur, von niemandem zuvor so zu Papier gebracht wie in Leviathan oder die beste der Welten (1949), Brand's Haide (1951), Rosen und Porree (1959) und Kaff auch Mare Crisium (1960). Es ist die Prosa Arno Schmidts.

Der in Hamburg in kleinsten, bildungsfernen Verhältnissen geborene Gendarmensohn, im schlesischen Lauban aufgewachsen, zum Buchhalter ausgebildet, der den Krieg in Schreibstuben im Elsass und Norwegen überstand, lebte, nachdem der lebenslange Viel- und Dauerndleser sich 1946 entschlossen hatte, freier Schriftsteller zu sein, bis zu seinem Tod 1979 fast permanent in finanziell äußerst prekären Verhältnissen. Und in kleinsten Orten, in der Nähe von Mainz, in einem Dorf an der Saar - vor dem dortigen Katholizismus floh er nach einem Prozess wegen Pornografie -, ab 1958 in Bargfeld, einem 300-Seelen-Flecken in der Lüneburger Heide.

Es dürfte keinen anderen deutschen Autor nach 1945 geben, der das Lesepublikum bis heute derart unversöhnlich in zwei Lager spaltet. Nicht wegen politischer Drolerien oder erotischer Eskapaden, sondern einzig wegen seiner Literatur. Auf der einen Seite: die Schmidt-Enthusiasten, institutionell organisiert in der nach ihm benannten, Werk und sein Haus in Bargfeld betreuenden Stiftung, die ihn recht kritiklos verehren.

Auf der anderen Seite die vielen, die dem Schmidt'schen Werk gleichgültig bis teilnahmslos, ja kopfschüttelnd gegenüberstehen - Oswald Wiener polemisierte 1979 über Schmidts "feststellbare überschätzung" -, die seinen orthografischen und sprachlichen Manierismen, stilisierten Marotten und seinen Essays und Porträts über mehrheitlich völlig zu Recht vergessene Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts nicht das Geringste abgewinnen können, ebenso wenig seinem Humor.

Oder grimmigen Sentenzen wie der, dass jeder unterarbeitet sei, der weniger als 100 Stunden pro Woche arbeite. Schmidt selber erfüllte diese Forderung gnadenlos gegen sich selber: als Autor eigener formal immer komplexerer Werke (die er nachts schrieb), als Übersetzer von Poe, Cooper und Stanislaus Joyce sowie als Verfasser von Features für den Rundfunk (tagsüber), was ihm jahrelang das Überleben sicherte.

Den Bemühungen Jan Philipp Reemtsmas, des Hamburger Mäzens und Literaturwissenschafters, ist es zu verdanken, dass das zu Lebzeiten über mehrere Verlage verstreute Opus in guten Editionen vorliegt. Dass Arno Schmidt nicht wie andere störrische mainstreamferne Einzelgänger nach 1945, Hans Henny Jahnn etwa, Albert Vigoleis Thelen oder Ernst Kreuder, heutzutage vergessen ist. Und dass immer wieder Neues erscheint, jüngst etwa die Briefe Arno Schmidts in einer kommentierten Ausgabe. Reemtsma hatte ihn auch in den letzten, gesundheitlich immer fragileren Lebensjahren finanziell unterstützt.

Schmidts Monumentalwerk Zettel's Traum, 1500 übergroßformatige Seiten, die in einem normalen Buchformat an die 4000 Seiten ergäben, ein wahres Lebensbuch, dürfte eines der sechs literarischen Werke sein, das nach Proust, Kafka, Joyce, Virginia Woolf und zeitgleich mit Vladimir Nabokov der Kunst des Romanschreibens tatsächlich neuen Raum und bis dato ungewagte Möglichkeiten erschloss. 1970 erschienen als fotomechanischer Nachdruck des Typoskripts, vergingen 40 Jahre, bis der Kasseler Typograf Friedrich Forssman nach jahrelanger minutiöser Kleinstarbeit eine "richtige" Fassung dieses mehrspaltigen Buches voller Marginalien und eingeklebter Bilder und Zeitungsausschnitte setzte.

Schmidt, der auf Porträtfotos immer so grimmig dreinsah und sich in seinen Büchern hinter Ich-Erzähler-Masken kenntlich verbarg, war, wie Freunde, Bekannte und Gesprächspartner überlieferten, viel umgänglicher, als es seine Selbststilisierung transportierte, verspielt, aufgedreht und amüsant. Zugleich, worüber seine Frau in ihrem Tagebuch klagte, ein eifersüchtiger Patriarch und eigensinnig bis zur Verschrobenheit.

Am Ende seines Lebens, 1975, überraschte Arno Schmidt, damals gesundheitlich angeschlagen durch einen schweren Herzinfarkt und doch weiter obsessiv schreibend bis kurz vor seinem Tod am 3. Juni 1979, mit Abend mit Goldrand, erneut einem Typoskript-Buch, wieder Literatur-Literatur - diesmal stand Jean Paul Pate -, mit seiner vielleicht zartesten Liebesgeschichte. Verschwunden sind das Kraftmeiern und das herrisch Anmaßende, das Zynische, das Bittere.

Stattdessen: "Der schweigende Fährmann schwingt mächtiger das Ruder, daß es sich federnd biegt (und SilberFunken hinter der Barke aufstieben). In weitem schönem Bogen umfahren sie das, höher & höher steigende Eiland: schweigend und strahlend zieht es in den Nachthimmel hinauf. Das Boot neigt den Schnabel sanft nach unten; in die raschere Luft." (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 18./19.1.2014)