Es war eine unangenehme Premiere für den Vatikan: Zum ersten Mal mussten sich am Donnerstag Vertreter des Papstes vor den Vereinten Nationen zu den Missbrauchsfällen äußern. Eine Delegation stand vor dem Uno-Kinderrechtsausschuss in Genf Rede und Antwort zu dem Skandal, der die katholische Kirche in ihren Grundfesten erschüttert. Papst Franziskus bezeichnete die Skandale bei der Frühmesse im Vatikan als "Schande der Kirche".
Die katholische Kirche gehe mit aller Macht gegen diese "ungeheuerlichen Verbrechen" an Kindern vor, sagte Erzbischof Silvano Tomasi, der den Heiligen Stuhl bei den Vereinten Nationen in Genf repräsentiert. "Derartige Verbrechen können niemals entschuldigt werden." Der Heilige Stuhl kooperiere mit staatlichen Stellen und habe Richtlinien für Kirchen erlassen, um neue Fälle von Kindesmissbrauch zu verhindern. So wähle die katholische Kirche mit größtmöglicher Sorgfalt Priesteramtskandidaten aus.
Die Experten des Uno-Ausschusses wollten es genau wissen: Was macht der Vatikan, um weitere Fälle zu vermeiden? Kann der Kirchenstaat die Pädophilie besiegen? Wie stellt die Kirche sicher, dass die Täter bestraft werden? Tomasi und sein Mitstreiter, Bischof Charles Scicluna, räumten ein, dass der Heilige Stuhl einige "Dinge" anders machen müsse. Aber: "Es ist nicht die Politik des Heiligen Stuhls, Vertuschungen zu ermutigen", sagte Scicluna.
Menschenrechtsorganisationen werfen dem Vatikan genau das vor: Mitarbeiter der katholischen Kirche, die Kinder missbraucht hätten, würden geschützt. "Die katholische Kirche verhindert aktiv, dass gewalttätige Priester vor Gericht kommen", sagte Miguel Hutardo. Er war nach eigenen Angaben als 16-Jähriger von einem Geistlichen in Katalonien, Spanien, missbraucht worden.
Hutardo und andere Opfer beobachteten die Anhörung am Sitz des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte. Laut Schätzungen gab es weltweit mehr als 100.000 Fälle von Kindesmissbrauch durch Personal der katholischen Kirche. Vor der Sitzung hatte der Kinderrechtsausschuss vom Vatikan detaillierte Informationen über Opfer und Täter verlangt. Der Heilige Stuhl ging darauf nicht ein. Nach seiner Rechtsauffassung liegt die Verantwortung bei den Staaten, in denen der Missbrauch stattfand.
Rechtlich nicht verbindlich
Zwar habe der Heilige Stuhl die Kinderrechtskonvention 1990 ratifiziert. Er sei aber nur auf dem kleinen Gebiet des Kirchenstaates für die Umsetzung verantwortlich. Die Konvention verpflichtet die Staaten, Kinder vor Missbrauch zu schützen. Der Kinderrechtsausschuss will im Februar dem Vatikan seine Empfehlungen zu den Missbrauchsfällen vorlegen. Ob der Heilige Stuhl die Ratschläge annimmt, ist fraglich. Verbindlich sind sie nicht. (Jan Dirk Herbermann aus Genf, DER STANDARD, 17.1.2014)