"Zum Hi Hotel?" Der Taxifahrer macht große Augen und sagt: "Von dem verrückten Hotel haben mir schon einige erzählt!" Nun ja, verrückt: Wer Matali Crasset kennt, weiß, dass ihn kein Hotel im Belle-Epoque-Stil erwartet, keiner von den Côte-d'Azur-Palästen in Nizza mit Samt und Brokat und Schnörkeln und Springbrunnen. Schließlich lässt die französische Designerin mit ihren Entwürfen die dekorative Tradition ihres Landes weit hinter sich, ob nun bei Möbeln, Hifi-Geräten oder eben einem ganzen Haus wie dem Hi Hotel, das vergangenes Frühjahr eröffnet wurde.

Ein schlichtes Gebäude aus den Dreißigerjahren, das von außen nichts vom gestalterischen Wirken im Inneren verrät, ja nicht einmal, dass es ein Hotel ist. "Normalerweise sind Hotels entweder so angelegt, dass sie ein Spiel spielen - denkt man an die Luxushotels. Oder so, dass man sich wie zu Hause fühlt, indem sie viel auf Dekoration setzen. Das erscheint mir nicht mehr zeitgemäß. Das Hi Hotel soll ein Ort sein, an dem man Entdeckungen machen und experimentieren kann", sagt Crasset, die für ihre Auftraggeber am liebsten Neuartiges jenseits der Standards realisiert.

Für die 38 Zimmer in Nizza hat sich Crasset neun Konzepte ausgedacht, die Namen wie "Digital", "Indoor Terrace" oder "Happy Day" tragen. Zimmer mit riesigen Pixeln an den Wänden und Möbeln im Stil von Computerbildschirmen. Japanisch angehauchte Zimmer mit Holzplanken, auf denen sich Dusche, Pflanze und Matratze tummeln. Ganz in Weiß gehaltene Studios mit eigener Terrasse samt Jacuzzi. Allen gemein: ihr puristischer Stil. Es gibt keinen Teppich, keine Tapete, keine Bilder. Dafür Platz sparende Flachbildfernseher oder WiFi-Anschlüsse fürs drahtlose Surfen im Web, alles selbstverständlich für Crasset, war sie doch einst beim Multimediakonzern Thomson Leiterin des Designteams "Tim Thom".

Im Hi Hotel wandelt der Gast wie in einer ständigen Ausstellung von Crasset, denn fast alles ist von ihr entworfen, teilweise exklusiv fürs Hotel wie das Geschirr "Link", die Badewanne "Hi.stone" aus Lavagestein oder "Hi-Lamp", Leselampen in überdimensionierter Glühbirnenform. Von der bestechend einfachen Lösung, die Betten am Kopfende einfach mit herausziehbaren Metallborden zu versehen, können Besitzer hässlicher Nachttischchen nur träumen. Anschaulich erlebt der Hotelbesucher, wie Crassets unkonventionelles Design darauf angelegt ist, Rituale zu verändern und Funktionen zu erweitern: Im "Strates"-Zimmer gibt es keinen Schrank? Dann müssen für die Kleidung eben die "poufs" herhalten, große Schaumstoffwürfel mit Tragegurten, die gleichzeitig als Sofa oder als Sitzkissen auf dem Balkon funktionieren. Geschäftsreisende müssen eine Besprechung abhalten? Im Studio "Rendez-vous" kein Problem - aus vier Stühlen mit kleinen Ablagen wird im Handumdrehen ein Konferenztisch mit großer Arbeitsplatte, die bei Nichtbenutzung einfach an die Wand gehängt wird. Das Badezimmer im "Monospace" liegt am Fenster? Prima, so spart man sich das Buch und schaut von der Toilette aus auf das Straßentreiben draußen - denn wer sagt eigentlich, dass ein Hotelbad immer am Eingang liegen muss? Ständig scheint das Hotel dem Gast zu sagen: Lass dich auf etwas Neues ein!

Wer Lust hat, sich für ein paar Tage auf frische Ideen und sehr bunte Farben einzulassen, wird daran seinen Gefallen finden. Wer von einem Hotel erwartet, alles wie gewohnt vorzufinden, wird sich am Experiment Hi kaum erfreuen und über das Selbstbedienungsfrühstück im Stil eines guesthouses die Stirn runzeln. Oder über die Getränkeautomaten auf den Fluren, die die Minibars auf den Zimmern ersetzen. Erst recht über die fehlende Privatheit bei der Körperpflege. Denn eine besondere Beziehung pflegt die Designerin zu Wasser: Die offenen Duschen und Bäder gehören zum Highlight im Hotel. Hatte Crasset für Dornbracht unlängst eine übermütige Badstudie entworfen, mit Duschen als Gewächshaus und einer futuristischen Lichttherapie-Nasszelle, brachte sie im Hi Hotel praktikablere Ideen zur Vollendung:

Im Raum "White & White" wird die Badewanne zum Himmelbett (während das Bett aussieht wie ein Tisch), im "Technocorner" schaut man sich von der Badewanne mitten im Raum DVDs auf einer großen Leinwand an. Und in "Strates" steigt man drei Stufen hoch, bevor man sich hinter gelbem Glas und unterm Halogenspot vorkommt, als könne ein "Beam me up, Scottie" einen jederzeit in andere Sphären entführen. Freudloses Duschen hinter Plastikvorhängen ist Crassets Sache nicht. Sie möchte "den Spaß an einer Dusche oder einem Bad wieder wecken" - mit geräumigen Nasszellen und schönem Licht. Die fröhlichen Farben, die sich durch die Räume ziehen, vereinen sich in der Bar in Tischen und Hockern.

Wie zu Hause, so viel ist klar, fühlt man sich hier sicher nicht. Nach Hause will man aber auch nicht mehr: Dafür macht das Experimentieren einfach zu viel Spaß. (Mareike Müller, Der Standard/rondo/14/08/2003)