Die gesammelten Gedichte von Roque Dalton gehen im Film durch viele Hände: Hier erinnert sich Weggefährtin Esperanza.

Foto: Kinoki

Wien - Auf öffentlichen Plätzen, an Straßenecken, hinter Gefängnismauern teilen Menschen Erinnerungen und Assoziationen zu einem längst Verstorbenen. Sie lesen laut Gedichte von Roque Dalton (1935-1975), salvadorianischer Poet und Revolutionär, der mit seiner lebensnahen Poesie unter seinen Landsleuten auch heute noch sehr lebendig scheint.

Das Fortwirken eines dichterischen Werks im Alltag, bei den gewöhnlichen Leserinnen und Lesern zu suchen, das lässt zunächst an Heddy Honigmanns O amor natural denken (darin reflektieren Brasilianer lebhaft ihre Beziehung zu Gedichten von Carlos Drummond de Andrade). Aber die Frequenz der Auftritte und ihre Kürze irritieren. Die Worte und Sätze haben zu wenig Raum, um ihre Wirkung zu entfalten.

Dann werden die Begegnungen ausführlicher: Der literarische Stellenwert Daltons kommt zur Sprache - als Gegner einer seinerzeit dominanten Lyrik, die sich dem "Hymnus" verschrieben hatte, als Autor, der in seinen Gedichten "Probleme, Konflikte, Ideen" darstellen wollte und dafür eine sehr direkte, mitunter "schmutzige" Sprache wählt. Erste politische Aktivitäten haben den Charakter von Spaßguerilla, werden Ende der 1950er von den Machthabern in El Salvador aber todernst genommen.

Roque Dalton, erschießen wir die Nacht! hat Tina Leisch ihr Dokuporträt von Dalton genannt. Aus dessen Schriften und aus den Erzählungen von Weg- und Kampfgefährten, von Ehefrau, Geliebten und Kindern ergibt sich mit der Zeit eine - chronologisch angelegte - Lebensgeschichte.

Zu den Stationen gehört neben El Salvador und Kuba auch Europa: Dalton ging in den 60er-Jahren nach Prag und erlebte dort Dogmatik und das anhebende Tauwetter des kurzen Prager Frühlings. 1967 lebte die Familie vorübergehend in Wien, 1968 folgte ein weiterer, mehrjähriger Aufenthalt in Kuba. 1975 wurde Dalton unter nie restlos geklärten Umständen von Widersachern aus dem eigenen politischen Lager umgebracht.

Die Film- und Theatermacherin Leisch hat 2008 mit Gangster Girls auf konzeptuell (und visuell) ausgeklügelte Weise Insassinnen des Frauengefängnisses in der Schwarzau mit ihren Geschichten vor die Kamera geholt. Auch bei Roque Dalton gibt es ein durchgängiges Motiv, den toten Protagonisten gegenwärtig zu halten und die Beziehung der jeweils über Dalton sprechenden Person zu diesem selbst zu veranschaulichen.

Roque, überlebensgroß

In die Szenen sind Vergrößerungen aus Schwarz-Weiß-Fotografien, ausgeschnittene Figuren eingebaut. Manchmal wird Roque Dalton so überlebensgroß mitgetragen. Mal lehnt er hinten lachend an der Wand - auf einem Foto mit dem jungen Ernesto Cardenal, der vorne im Bild gerade spricht. Mal steht er mit der Familie am Badestrand, hinter seinem inzwischen längst erwachsenen Sohn Jorge. Dieses (analoge) Mittel eines "armen Kinos" ist konsequent und effektvoll, die zwei-, dreimal eingebauten Animationen und Spielszenen sind im Vergleich weniger überzeugend.

Ein anderes Versatzstück, das kontinuierlich auftaucht und weiter gereicht wird, sind die dicken zerlesenen Bände der Gesamtausgabe von Daltons Gedichten, aus denen oben bunte Post-its herauswachsen. Sie sind ein stimmiges Bild für das, was an Dalton greifbar bleibt - in einem Film, den man auch als Hommage an eine Generation und ihre gerade historische Form politischer Kämpfe lesen kann. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 16.1.2014)