Wahlversprechen halten in Paris zwei Jahre. So lange wahren französische Präsidenten jeweils die Illusion, unter ihnen werde alles besser. Bis die Realität obsiegt. Das war so 1983, als François Mitterrand seine generöse Sozialpolitik abrupt korrigierte; Jacques Chirac musste 1997 sogar Neuwahlen ausschreiben und Nicolas Sarkozy 2009 seine Steuergeschenke für Begüterte zurücknehmen.

Auch François Hollande geht im verflixten zweiten Amtsjahr über die Bücher. Schon in seiner Neujahrsansprache hatte er erklärt, die Steuern - die er 2013 selber massiv erhöht hatte - seien in Frankreich "zu hoch" . Am Dienstag präzisierte er, dass er vor allem die Unternehmen entlasten wolle. 50 Milliarden Euro will er ihnen steuerlich nachlassen, darunter die Familienzuwendung, die immerhin 5,4 Prozent aller Unternehmensabgaben ausmacht. Hollande redete nicht um den Brei herum und erklärte, nur eine solche "Politik des Angebotes" sichere die internationale Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft.

Die Reaktionen waren am Mittwoch gespalten. Jean-Luc Mélenchon von der "Parti de Gauche" (Linkspartei) wirft Hollande vor, er werfe das Steuer "nach rechts" herum. Auch Sozialistin Marie-Noëlle Lienemann spricht von einer "Wende" in Richtung "Austeritätspolitik". Die gemäßigte Gewerkschaft CFDT sieht die Kurskorrektur hingegen positiv und meint, die Firmenabgaben lägen in Frankreich immer noch höher als in Deutschland. Auf der Rechten loben einzelne Stimmen wie Expremierminister Jean-Pierre Raffarin Hollandes "Luzidität".

"Bleibe Sozialist"

Und Hollande selbst? Gefragt, ob er eigentlich Sozialdemokrat - ein in Frankreich bisher verpöntes Wort - oder Sozialist sei, erwiderte er: "Ich bleibe Sozialist. Und ich bin Sozialdemokrat." Mit Rücksicht auf seine linke Wählerschaft verbietet er sich das Wort "Wende". Er liegt wohl richtig mit der Aussage, dass es sich eher um eine "Beschleunigung und Vertiefung" seiner Politik handle.

Das birgt freilich eine gehörige Portion Selbstkritik, namentlich angesichts seines Misserfolges, die elfprozentige Arbeitslosigkeit einzudämmen. Hollande muss sich die Frage gefallen lassen, warum er mit seinen Ankündigungen bis jetzt gewartet habe. Frankreich hat dadurch in der Krise zwei wertvolle Jahre verloren.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - wie der Monumentalroman von Marcel Proust heißt - muss sich Hollande nun sputen, um den Rückfall der französischen Wirtschaft zu stoppen. Denn während sich in allen großen Ländern wie England, Deutschland, Italien und Spanien ein gewisser Aufschwung abzeichnet, stagniert Frankreich: Für 2014 rechnet die Arbeitslosenkasse Unedic mit 60.000 zusätzlichen Joblosen.

Deshalb verlangt Hollande von den Firmen im Gegenzug zur Steuerentlastung eine massive Schaffung von Arbeitsplätzen. Der Unternehmerverband Medef ist bereit, dank der Abgabesenkung binnen drei Jahren eine Million Stellen zu schaffen. Ob er dieses Versprechen halten kann, muss sich allerdings erst weisen.

Offen ist auch die Finanzierung der Hollande'schen Maßnahmen. Bei seiner Pressekonferenz nannte der Präsident zwar mehrere Ansätze wie die Entschlackung der Kranken- und Sozialversicherung oder die Zusammenlegung von Gebietskörperschaften (Regionen, Departementen und Agglomerationen). Sehr konkret klang das aber nicht. Mit Rücksicht auf seine Wähler werde es Hollande kaum gelingen, die Staatsausgaben im gewünschten Maße abzubauen, meint der linke Ökonom Thomas Piketty: "Er wird eher das Haushaltsdefizit schlittern lassen." Die EU ist gewarnt. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 16.1.2014)