Eugen Freund war bis Jahresende beim ORF, nun wechselt er in die EU-Politik.

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Auch Justizkommissarin Viviane Reding kommt aus der Medienbranche.

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Was haben Eugen Freund, der griechische Kulturminister Panagiotis Panagiotopoulos, EU-Justizkommissarin Viviane Reding und die Bezirksvorsteherin der Wiener Innenstadt, Ursula Stenzel, gemeinsam? Nichts, werden die meisten sagen, die den weltgereisten ORF-Journalisten bis vor kurzem in der "ZiB1" gesehen haben und von den übrigen drei vielleicht noch wissen, dass sie auf ihre Weise erfolgreiche Politiker sind – alle für konservative bzw. christdemokratische Parteien.

Dennoch gibt es eine interessante Gemeinsamkeit mit Freund, der nach seiner Pensionierung vor nur zwei Wochen am Donnerstag vom Parteivorstand der SPÖ zum Spitzenkandidaten für die EU-Wahl ausgerufen wird. Auch Panagiotopoulos, Reding und Stenzel waren von Beruf Journalisten. Und sie hatten auffallendes Interesse für Internationales, bevor sie in die Politik wechselten.

Der Grieche war zugleich auch Rechtsanwalt, studierte in Paris, aber wirklich bekannt wurde er in seinem Land mit einer eigenen Fernsehsendung, in der er Personen wie den russischen Präsidenten Boris Jelzin und PKK-Führer Abdullah Öcalan zu Gast hatte. Bis vor einem halben Jahr war er Verteidigungsminister in Athen.

Reding begann nach dem Studium als politische Redakteurin beim "Luxemburger Wort", bevor sie in die Kommunalpolitik wechselte und sehr früh EU-Abgeordnete wurde, um später von Jean-Claude Juncker als EU-Kommissarin in Brüssel nominiert zu werden. Ursula Stenzel war bis 1996 Anchorwoman des ORF in der "ZiB1", ein echter Publikumsliebling im Duo mit Klaus Edlinger. Dann zog sie für die ÖVP überraschend (und von vielen belächelt) als Spitzenkandidatin in den ersten EU-Wahlkampf nach dem Beitritt Österreichs zur Union. Den Christdemokraten sicherte sie mit 29,65 Prozent den ersten Platz vor der SPÖ und sieben Mandate.

Nun kann man Freund in einer Hinsicht schwer mit Reding oder Panagiopoulos vergleichen. Die beiden hatten früh begonnen, politisch zu arbeiten. Freund war praktisch sein ganzes Leben lang journalistisch tätig, in Magazinen, in Rundfunk und Fernsehen. Nur ein paar Jahre lang hat er in den 1970er-Jahren für den parteilosen Außenminister Willibald Pahr als Pressesprecher gearbeitet, dann für den Informationsdienst des Außenamts in New York.

Freund muss also erst noch beweisen, ob er das politische Geschäft handwerklich rasch erlernt, mit den Mechanismen (und wohl auch den gedanklichen Unfreiheiten) einer Partei umgehen kann. Aber: Was 1996 bei Stenzel galt, gilt wohl auch für Eugen Freund. Man sollte den 62-Jährigen nicht unterschätzen. Auch der etwas exzentrischen ORF-Frau hatten viele vor der Wahl kaum Chancen eingeräumt. Es gibt auf der europäischen Bühne noch viele andere Beispiele ehemaliger Journalisten, die später in der Politik erfolgreich waren. Der Italiener Antonio Tajani, heute EU-Industriekommissar, ist auch so eines.

Für eher unwahrscheinlich halte ich im Fall Freund jedenfalls, was Armin Wolf, der seine Doktorarbeit über Quereinsteiger geschrieben hat, im STANDARD prophezeit: dass sein Ex-Kollege seine Funktion mit dem Wahltag erfüllt haben werde und der SPÖ nur als Aushängeschild diene.

Daran sind (vorläufig) nur zwei Aspekte richtig: Die SPÖ und Parteichef Kanzler Werner Faymann haben tatsächlich verzweifelt einen prominenten Spitzenkandidaten gesucht, damit die von der Wahlniederlage im vergangenen Herbst und der Neuauflage der Koalition gezeichnete SPÖ im Mai bei den Europawahlen nicht ganz untergeht. Die Nervosität war im Kanzleramt und in der Löwelstraße in den vergangenen Wochen jedenfalls groß. Und auf Freund kamen sie, weil das Politikverständnis der Sozialdemokraten im Moment dem Motto "Bekannt aus Funk und Fernsehen" bzw. schnellen Schlagzeilen und Inseraten in Boulevardblättern zu folgen scheint.

Aber wenn man davon einmal absieht, stehen die Chancen für Eugen Freund gar nicht unbedingt so schlecht. Die Wählerlatte, über die er "springen" muss, liegt nicht sehr hoch: bei den letzten EU-Wahlen 2009 hatte die SPÖ blamable 23,7 Prozent erreicht, ein Minus von 9,6 Prozent. Viel weniger geht für eine (ehemalige) Großpartei schon nicht mehr. Sollten die Roten auf plus/minus 20 Prozent und Platz drei hinter die FPÖ abfallen, wäre das eine Katastrophe. Man würde das wohl kaum Freund in die Schuhe schieben können, dann bleibe in der SPÖ wohl kein Stein auf dem anderen. Dann ginge es wohl um Faymanns Kopf.

Viel schwerer tun sich da schon die Schwarzen. Die ÖVP kam 2009 immerhin noch auf 30 Prozent, ein leichteres Minus von 2,7 Prozent). Spitzenkandidat Othmar Karas hat also einiges zu tun unter den Bedingungen des Chaos-Rot-Schwarz, wie es die Regierung derzeit bietet, um das Ergebnis nur einigermaßen zu halten. Die FPÖ startet von relativ schwachen 12,7 Prozent in den EU-Wahlkampf.

Zurück zu Eugen Freund. Bei dieser Ausgangslage könnte er schon als toller "Sieger" dastehen, wenn die SPÖ auch nur zwei, drei Prozentpunkte dazugewinnt und zweitstärkste Partei bliebe. Dass auch das schwach wäre würde dann kaum jemand auffallen.

Und wie ginge es mit ihm dann weiter als Politiker? Keiner weiß, wie Freund sich in dieser neuen Rolle schlägt. Aber der ORF-Mann hat mit einer ersten Festlegung gezeigt, dass er von Parteiquerelen, Verletzlichkeiten in der SPÖ und Fingerspitzengefühl im Umgang damit etwas versteht. Er schlug im Interview mit dem STANDARD vor, dass der von der Parteizentrale als Spitzenkandidat übergangene Jörg Leichtfried weiterhin als Leiter der SPÖ-Delegation arbeiten solle. Er selber wolle sich ganz auf seine Stärken, die außenpolitische Kenntnis, Erfahrung mit dem USA, auf Außenhandelspolitik und globale Fragen konzentrieren.

Damit tut er das genaue Gegenteil von dem, was der obsessive Draufhauer Hans-Peter Martin im Jahr 1999 gemacht hat. Auch er war vom SPÖ-Chef und Kanzler (Viktor Klima) den braven EU-Abgeordneten in Straßburg als Quereinsteiger vor die Nase gesetzt worden, und wollte nach der Wahl seinen Anspruch auf Alleindominanz durchsetzen.  Prompt ließen ihn die SPÖ-Abgeordneten auflaufen und wählten Hannes Swoboda zum Delegationschef. Martin verließ 2002 im Streit die SPÖ-Gruppe und gründete seine Liste HPM, die ihm seit 2004 durch Flucht der seiner Abgeordnetenkollegen auf der Liste (Resetarits, Ehrenhauser, Werthmann) gleich zweimal explodierte. Wer immer Freund zu diesem Schachzug riet: Er hat damit die Glut des Konflikts mit seinen künftigen Klubkollegen in Straßburg im Keim erstickt.

Das könnte ihm zweitens die Tür öffnen, persönlich ein interessantes Abgeordnetenleben zu beginnen. Europas Außenpolitik, Krisen in der Welt,  Neugestaltung der Außenhandelsbeziehungen – das sind Themen, denen eine starke Zukunft vorausgesagt wird, wenn Europa sich im kommenden Jahrzehnt  global als Machtfaktor behaupten will. Wenn Freund sich das zu Eigen machte, träte er in die Fußstapfen anderer EU-Politiker und Abgeordneter, die genau das gleiche taten. Etwa der deutsche Elmar Brok, ein Christdemokrat, der den Vorsitz im Außenpolitischen Ausschuss innehat. Er gilt als einer der wichtigsten und angesehensten EU-Abgeordneten überhaupt, mit jahrzehntelanger Erfahrung. Vor allem: Auch Elmar Brok begann einst als Journalist. (Thomas Mayer, derStandard.at, 15.1.2014)