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Das Hotel, in dem die Dänin vergewaltigt wurde.

Foto: AP Photo/Altaf Qadri

Neu-Delhi - Es war ihr letzter Urlaubstag, doch er endete mit einem Albtraum. Weil sie sich im Gassengewirr von Delhis populärem Touristendistrikt Paharganj verlaufen hatte, fragte eine dänische Touristin eine Gruppe Männer nach dem Weg. Doch die Männer, die so hilfsbereit schienen, lockten die 51-jährige stattdessen in eine abgeschiedene Ecke nahe des Hauptbahnhofs.

Dort raubten die laut Medien fünf bis sechs Männer der Frau Geld, iPad und Handy und vergewaltigten sie mit vorgehaltenem Messer. Dies geschah am späten Dienstag nachmittag. Erst am Abend gelang es der Frau, sich wieder in ihre Pension zu schleppen. Der Besitzer des Amax Hotels, Pushkar Singh, rief die Polizei. "Sie weinte und war in einer kläglichen Verfassung", erzählt er sichtlich erschüttert. "Ich schäme mich, dass dies passiert ist."

Schockwellen durch Indien

Schauplatz war ausgerechnet der Touristendistrikt Paharganj mit seinen vielen Billighotels, der nahe vieler Sehenswürdigkeiten liegt und bei Rucksack-Reisenden beliebt ist. Laut Polizei verweigerte die traumatisierte Touristin eine medizinische Untersuchung und reiste noch am Mittwoch nach Dänemark ab.

Delhis Polizei, sonst nicht gerade für Schnelligkeit bekannt, reagierte prompt. Bereits am Mittwoch wurden 15 Männer verhaftet und vernommen, teilte sie mit. Ob es sich wirklich um die Täter handelt oder die Polizei nur zügige Erfolge vorweisen will, lässt sich in Indien allerdings nie sicher sagen.

So schnell geht es tatsächlich selten. Der Fall offenbart auch die Doppelmoral eines Landes, das mehr um sein Image im Ausland als um das Wohl der Frauen besorgt scheint. Während die Polizei bei Vergehen gegen Ausländerinnen meist hart durchgreift, warten Inderinnen oft Jahre, Jahrzehnte oder vergeblich darauf, dass ihre Peiniger bestraft oder auch nur festgenommen werden.

Lippenbekenntnisse

Vor einem Jahr hatte die "Schreckenstat von Delhi" erstmals international ins Bewusstsein gerückt, welches Ausmaß Gewalt gegen Frauen in Indien hat. Damals war eine 23-jährige Studentin in einem fahrenden Bus von sechs Männern vergewaltigt und so bestialisch misshandelt worden, dass sie zwei Wochen später ihren Verletzungen erlag.

Das Verbrechen hatte zu wütenden Massenprotesten gegen die Apathie des Staates geführt. Doch bisher sind die Zuständigen kaum über Lippenbekenntnisse hinausgekommen. Zwar verschärfte die Regierung die Gesetze. Doch Polizei, Justiz und Politik behandeln Gewalt gegen Frauen noch immer meist als Lappalie oder schützen sogar die Täter. "Welcher Teil von Delhi ist noch sicher", fragte Hotelbesitzer Singh. "Es gibt ein Bildungsproblem, das die Stadt verrotten lässt."

Frauenrechtlerinnen glauben nicht an schnelle Erfolge. Sie gehen davon aus, dass es mindestens eine Generation dauert, bis sich das Denken ändert. "Es ist eine riesige Herausforderung", sagt Ranjana Kumari, Directorin des "Centre for Social Research". "Wir tun nicht genug, um diese Attacken zu stoppen."

Was besonders schockiert, ist die Brutalität der Taten. Es scheint fast eine Art männlicher Volkssport, Frauen in der Gruppe zu vergewaltigen. Soziologen machen auch die rasanten Umbrüche und sozialen Konflikte in der aufsteigenden Wirtschaftsmacht verwantwortlich.

Partriarchalische Strukturen

Zu Hunderttausenden strömen Armutsflüchtlinge vom Lande in die Metropolen. Viele kommen aus ländlichen Regionen, deren partriarchalische Strukturen denen der Taliban nicht unähnlich sind. In den Städten sind sie mit Frauen konfrontiert, die arbeiten, ausgehen und sich frei bewegen. Viele Männer fühlten sich dadurch in ihrer Dominanz bedroht und reagierten aggressiv, meinen Wissenschaftler.

Und doch hat sich seit den Massenprotesteten auch etwas verändert. Erstmals wird das Problem breiter thematisiert. Und immer mehr Frauen brechen das Schweigen. Allein in Delhi hat sie die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen in 2013 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.

Die Serie von Vergewaltigungen hat Indiens Ruf im Ausland beschädigt. "Die Botschaft, die in die Welt ausgesandt wird, ist, dass man als Frau nicht alleine nach Indien kommen sollte", sagt Kumari. Im ersten Vierteljahr 2013 sank die Zahl weiblicher Touristen laut einer Studie um 35 Prozent. Als Reaktion startete die Tourismusbehörde eine Kampagne: "Ich respektiere Frauen".

Im März 2013 war eine Schweizerin auf einer Radtour vergewaltigt worden. Eine britische Touristin sprang aus dem Fenster ihres Hotels in Agra, um einem Angriff zu entgehen. Eine Amerikanerin wurde bei einem Tripp in den Himalayas Opfer einer Vergewaltigung. Vergangenen Freitag schließlich wurde eine 18-jährige Deutsche, Mitarbeiterin einer NGO, in einem Schlafwagen des West Coast Express missbraucht. Dabei sind Ausländerinnen noch relativ sicher, gerade weil Täter wissen, dass die Polizei hier kein Pardon kennt. (Christine Möllhoff aus Neu-Delhi, derStandard.at, 15.1.2014)