Leben wir (wieder) an einer Zeitenwende? "At the cross­roads"  ("An den Wegkreuzungen" ) ist das Generalthema des heurigen Europäischen Forums Alpbach. Dieser Tage wurde bei einer gemeinsamen Veranstaltung des Club Alpbach, Steiermark und des STANDARD sozusagen einbe­gleitend über das Thema diskutiert. Der Historiker Manfried Rauchensteiner zeichnete den Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 nach, als gerade jüngere Menschen den Krieg als Befreiung von alten Strukturen betrachteten, als Chance für eine Wende ("Eine Volksabstimmung wäre in ganz Europa für den Krieg ausgegangen"); herausgekommen ist etwas ganz anderes, nämlich ein destruktiver Nationalismus.

Zeitenwenden jüngeren Datums wären der Zusammenbruch des Kommunismus 1989, die Osterweiterung der EU 2004, möglicherweise die Finanzkrise 2008, wohl auch der Arabische "Frühling" 2011, mit ei­niger Sicherheit der Beginn einer Armutswanderung von Afrika über das Mittelmeer nach Europa.

Die Folgen vor allem der Ereignisse jüngeren Datums sind noch nicht recht abzuschätzen; im Hintergrund lauert aber eine Entwicklung mit viel dramatischeren Konsequenzen: die Abschaffung auch qualifizierter Arbeit durch Maschinenintelligenz. Der amerikanische Wissenschaftler Tyler Cowen zeichnet in seinem Bestseller Average is Over (Durchschnitt ist vorbei) eine (industrialisierte) Welt, in der nur ein paar technologische Spitzenkräfte eine Chance haben, während der riesige Rest trotz einer Ausbildung, die heute als qualifiziert gilt, als arbeitsloses, subventioniertes Subproletariat lebt. 

Thomas Friedman, der Kolumnist der New York Times zitiert aus dem neuen Buch zweier Professoren vom MIT mit derselben Thematik (The second Machine Age) und referiert: "Das bedeutet, dass wir unseren Gesellschaftsvertrag tiefgreifend überdenken müssen, weil Arbeit so wichtig für die ­Identität und Würde einer ­Person und für die soziale ­Stabilität insgesamt ist". Eine Lösung wäre nach Meinung der Autoren ein (bedingungsloses) Grundeinkommen. 

Nun werden solche Visionen in den seltensten Fällen in vollem Umfang wahr. Sonst müssten etwa die Japaner die wirtschaftlichen Herren der Welt sein, wie noch in den 80er-Jahren die konventionelle Weisheit war. Doch ist es eine Tatsache, dass in Europa und den USA niedrig qualifizierte Arbeit kaum mehr gebraucht wird und höher qualifizierte zum Teil abwandert. Da ein beträchtlicher Teil der Jugend etwa in Deutschland, Frankreich und Österreich aus solchen niedrig qualifizierten Migrantenkindern besteht, herrscht Handlungsbedarf.

Das spezielle Problem der jetzigen österreichischen Staatsführung (und damit unser Problem) besteht ­darin, dass sie sich solcher Fragen gar nicht bewusst ist. Der kritische Jung-SPÖler Niki Kowall sagt (in der Kleinen Zeitung): "Es ist unklar, wie die Welt ausschauen soll, die wir wollen. Die Konservativen haben übrigens auch keine Vorstellung davon." Richtig, denn SPÖ wie ÖVP kümmern sich nur noch um die ohnehin abgesicherte Klientel. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 15.01.2014)