Es verwundert, welches Zerrbild der österreichischen Verkehrsinfrastrukturpolitik bei einigen Fachjournalisten und Experten ("Infrastruktur: Wer kann das wie verantworten" im STANDARD vom 30. Dezember) entstanden ist, weil sie eher den Blick fürs Detail geschärft haben als das Gesamtsystem in Augenschein zu nehmen. Ihre Debattenbeiträge beschränken sich auf die Kritik an vermeintlichen "Milliardengräbern" und "Monsterprojekten".

Dass es in der Verkehrsinfrastrukturplanung um die Optimierung des Gesamtsystems geht, dass der Großteil der Infrastrukturinvestitionen nicht in die notwendigen Tunnelprojekte, sondern in die nachhaltige Verbesserung des Netzes fließt, um die Kapazitäten zu erhöhen und die Voraussetzungen für einen integrierten Taktfahrplan zu schaffen, wird geflissentlich übersehen. Dabei ist es gar nicht schwierig, Entscheidungs- und Planungsprozesse in der österreichischen Verkehrspolitik zu verstehen:

  • Die strategische Grundlage bildet der Gesamtverkehrsplan für Österreich und dessen Ziele: Das Verkehrssystem muss leistungsfähig, effizient, sicher, sozial und umweltfreundlich sein. Der weitere Ausbau des Bahnnetzes ist dafür entscheidend.
  • Dafür muss abgeklärt sein, was das Bahnnetz der Zukunft leisten und wie es ausgestaltet sein muss. Das beantwortet der Strategieplan Zielnetz 2025+: Er definiert, welche Anforderungen für einen modernen, österreichweit abgestimmten Fahrplan nach Schweizer Vorbild notwendig sind.
  • Die Umsetzung erfolgt über von der Regierung beschlossene Rahmenpläne, die erläutern, welche Ausbauschritte für die bestmögliche Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems erforderlich sind.

Bevor also die ÖBB Gleisbau- oder Tunnelbohrmaschinen anrollen lassen, erfolgt jahrelange Planung und Diskussion mit detaillierten Kosten-Nutzen-Betrachtungen. Das alles geschieht in enger Abstimmung mit der EU, die den Ausbau der Transeuropäischen Netze und mehr Kostenwahrheit zwischen den Verkehrsträgern forciert.

Nicht viel anders bewerkstelligt Bahneuropameister Schweiz seine Planungen, nur hat Bern bereits in den 1990ern damit begonnen. Dort wäre aber kaum jemand auf die Idee gekommen, Tunnelbauten als Monsterprojekte zu sehen bzw. der Verkehrspolitik pauschal Konzept- und Ahnungslosigkeit zu unterstellen. Selbige Experten verlangen die Quadratur des Kreises: Ein schnelles, zuverlässiges Bahnsystem soll es sein - aber die Tunnel müssen wir weglassen. Komfortabel soll uns das Pendeln und Reisen gemacht werden - aber kosten soll alles gar nichts.

Ja, Österreich investiert viel Geld in die Schieneninfrastruktur, derzeit sind es jährlich 258 Euro pro Kopf. Damit liegen wir vor Schweden (151 Euro) oder den Niederlanden (129) - aber auch hier ist die Schweiz mit 349 Euro pro Kopf voran: Qualität hat ihren Preis und wir sind überzeugt, dass dieser gerechtfertigt ist. (Herbert Kasser, DER STANDARD, 15.1.2014)