Big Brother auf dem Mars: So soll die Mars-One-Kolonie dereinst aussehen - samt Direktübertragung in irdische Wohnzimmer.

Visualisierung: Bryan Versteeg / Mars One

Der Student Bernhard Ivancsics ist einer von vier Österreichern in Runde zwei von Mars One.

Foto: privat

Bernhard Ivancsics ist im Stress. Der 25-Jährige studiert Robotik und Mechatronik an der Fachhochschule Technikum Wien und muss sich auf die anstehenden Prüfungen konzentrieren. Seit Silvester beschäftigt ihn aber eine viel weitreichendere Frage: nämlich, ob er zu den ersten Menschen gehören könnte, die auf dem Mars eine Kolonie aufbauen - und dort den Rest ihres Lebens verbringen.

"Momentan geht alles etwas schnell", räumt Ivancsics ein. Zum Jahreswechsel wurde dem Burgenländer per E-Mail mitgeteilt, dass er zu den 1.058 Kandidaten gehört, die einer Reise zum Mars eine Runde nähergekommen sind. 200.000 Menschen haben sich laut der niederländischen Stiftung Mars One beworben - für ein One-Way-Ticket. Einen Retourflug zu organisieren wäre technologisch gesehen weitaus komplizierter, so das Argument.

Bis März muss Ivancsics umfangreiche ärztliche Atteste abliefern. Dann wird sich herausstellen, ob er an der geplanten TV-Reality-Show teilnehmen wird, in der jene sechs Gruppen zu vier Kandidaten auserwählt werden, die ein intensives Trainingsprogramm absolvieren. Bereits 2018 will Mars One einen Satelliten und eine Landefähre zum Mars schicken, 2025 sollen dann die ersten vier Siedler folgen.

"Grundsätzlich gefällt mir die Idee, die Raumfahrt einer breiten Masse zugänglich zu machen", sagt Ivancsics, der schon als Kind Astronaut werden wollte. So ganz überzeugt von der Idee, sein irdisches Leben für die Fahrt ins Ungewisse aufzugeben, ist er allerdings noch nicht. Im Moment schwankt er noch stark zwischen der Euphorie, die Mars One verbreitet, und der Skepsis der zahlreichen Kritiker, die von einem "Selbstmordkommando" sprechen. "Ich werde nur in eine Rakete steigen, wenn ich ganz sicher bin, dass die Leute wissen, was sie tun", betont Ivancsics.

Warten auf ein Wunder

Das jedoch ist nach Ansicht vieler Experten äußerst fragwürdig. "Ich fürchte leider, dass die Organisation dahinter den technischen Herausforderungen - ganz abgesehen von den finanziellen und legistischen - nicht gewachsen ist", sagt Gernot Grömer. Als Obmann des Österreichischen Weltraumforums (ÖWF) leitet er seit Jahren Projekte, in denen bemannte Marsexpeditionen simuliert werden. "Das Projekt hat einen Maßstab, dass mehr als ein Wunder nötig wäre, damit es funktioniert", meint der Astrobiologe.

Dabei gehört das lebensfeindliche Klima auf unserem Nachbarplaneten - tägliche Temperaturschwankungen um bis zu 32 Grad und eine staubige Atmosphäre, die fast zur Gänze aus toxischem Kohlenstoff besteht - noch zu den geringsten Problemen. Vielmehr würden wesentliche Technologien noch nicht existieren, wie Grömer festhält: Verfahren, die die kosmische Strahlung während des rund sieben Monate dauernden Fluges abschirmen; Raumfähren, die trotz schwerer Lasten Präzisionslandungen hinlegen können; Systeme, die die Lebenserhaltung unter widrigsten Umständen langfristig garantieren.

Ulrich Walter, ehemaliger Astronaut und Leiter des Lehrstuhls für Raumfahrttechnik an der TU München, bezifferte kürzlich im deutschen Tagesspiegel die Wahrscheinlichkeit, dass die Crew lebend auf dem Mars ankommt, mit 30 Prozent. Die Chance, nach drei Monaten auf dem Roten Planeten noch am Leben zu sein, sei geringer als 20 Prozent, warnte Walter. "Das Vorhaben stößt in mehreren Dimensionen an die Grenzen des Machbaren", schließt Grömer. "Jedes einzelne Element könnte ein Showstopper sein."

Der Showmaster ist Bas Lansdorp, der niederländische Unternehmer hinter Mars One. Er habe noch niemanden getroffen, der nicht skeptisch gegenüber seinen Plänen gewesen wäre, aber auch noch niemanden, den er nicht innerhalb von 30 Minuten habe überzeugen können, wird er nicht müde zu betonen. "Natürlich gibt es Risiken", sagt Lansdorp im Gespräch mit dem Standard, "aber wir werden sie so gering wie möglich halten. Bevor wir Menschen auf den Mars schicken, werden schon acht Frachtschiffe gelandet sein. Unsere Mission ist um ein Vielfaches sicherer als die Mondlandung."

Der Plan: Ab 2023 wird mit unbemannten Missionen der Aufbau von Unterkünften begonnen, in denen die Siedler leben und Pflanzen kultivieren sollen. Dünne Solarzellen sollen die nötige Energie, Eis im Boden das Wasser liefern. Aus dem Wasser wiederum kann durch Elektrolyse Sauerstoff gewonnen werden. Die erste Gruppe von vier Personen wird die "Lebenseinheit" für die nächste Gruppe vorbereiten, die zwei Jahre später eintreffen soll.

Ohne Star-Trek-Replikator

Doch auch prominente Unterstützung durch den niederländischen Physiknobelpreisträger Gerard 't Hooft kann die Kritiker aus der Wissenschaftscommunity nicht beschwichtigen. "Selbst ein Star-Trek-Replikator würde nicht ausreichen, um all die Ressourcen herbeizuzaubern", meint Gernot Grömer. Ganz zu schweigen von rechtlichen Hürden, etwa was Haftungsfragen betrifft.

Grömer hält es auch für unwahrscheinlich, dass die sechs Milliarden Dollar, die für die erste Etappe des bemannten Marsflugs veranschlagt wurden, ausreichen - sofern sie überhaupt finanziert werden können. Mars One brüstet sich, mit namhaften Partnern wie dem privaten Raumfahrtunternehmen SpaceX und dem Rüstungskonzern Lockheed Martin zusammenzuarbeiten - diese sehen sich aber in erster Linie als Technologielieferanten und weniger als Mitstreiter, verlautet es.

Wie viel schon in der Kasse ist, will Lansdorp nicht verraten. Eine Crowdfunding-Initiative hat noch nicht einmal die Hälfte der angepeilten 400.000 Dollar gebracht. Man sei in Verhandlung mit einer britischen Investmentfirma und einem bedeutenden US-Studio, das an den TV-Rechten des Space-Big-Brother interessiert sei. Noch heuer im Sommer könne die Castingshow beginnen.

Was dort den Kandidaten abverlangt wird, verhandelt Norbert Kraft, der medizinische Direktor des Projekts. Der Österreicher war Kommandant eines 110-tägigen Isolationsexperiments in Moskau und erforschte in der Nasa Teamarbeit im All, bevor er zu Mars One wechselte. Für ein Gespräch war er nicht erreichbar.

Auch wenn noch in den Sternen steht, ob das Projekt aufgeht - die Idee wirkt inspirierend, ist Gernot Grömer überzeugt. Er hält einen bemannten Marsflug in absehbarer Zeit grundsätzlich für realistisch: "Der erste Mensch auf dem Mars geht wahrscheinlich gerade in eine Volksschule in Peking", sinniert er. Der Wettlauf zum Roten Planeten hat jedenfalls längst begonnen: Auch SpaceX-Chef Elon Musk träumt von einer Marskolonie. Multimillionär Denis Tito plant, bereits 2018 ein Paar in den Mars-Orbit und wieder zurück zu schicken. Und schließlich will auch die Nasa in den 2030er-Jahren eine bemannte Marsmission wagen - samt Rückkehr zur Erde. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 15.1.2014)