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Frauen stellen sich zur Abstimmung über das Referendum an. Sie werden mit Ja stimmen - wie sie im Dezember 2012 auch für die Morsi-Verfassung gestimmt haben.

Foto: EPA/KHALED ELFIQI

Drei Stunden hat Manar ausgeharrt, bis sie gegen Mittag im Kairoer Stadtteil Agouza ihre Stimme für das revidierte Grundgesetz abgeben konnte. Eine Stimme gegen Morsi und die kriminellen Muslimbrüder, die das Land ruiniert hätten, erklärt sie ungefragt. Nach dieser Abstimmung müsse auch das Ausland endlich zur Kenntnis nehmen, dass der gewählte Präsident nicht weggeputscht, sondern nach dem Willen des Volkes entmachtet worden sei, mischt sich ein älterer Mann ein.

Niemand bestreitet, dass dieser Urnengang nicht in erster Linie der Verfassung, sondern der Legitimierung der aktuellen Machtverhältnisse und der Absegnung des politischen Fahrplans der Armee gilt.

"Stabilität" ist an diesem Morgen das am öftesten gehörte Argument für die Teilnahme, auch im noblen Stadtteil Zamalek, wo zum ersten Mal elektronische Lesegeräte für die Kontrolle der Personalausweise zum Einsatz kommen. Stabilität sei heute aber etwas anderes als unter Hosni Mubarak, die Menschen seien mit der Revolution erwacht, würden sich nicht mehr alles gefallen lassen, rechtfertigt sich Munira. Er sage "Yes" mit doppeltem S, meinte ein Wähler in Zamalek, als er es nach Stunden zur Urne geschafft hatte, und suggerierte damit, dass seine Stimme auch General Abdelfattah al-Sisi gelte. Der Armeechef und Verteidigungsminister hatte am Wochenende erklärt, er würde sich als Präsidentschaftskandidat nominieren lassen, wenn ihm das Volk ein Mandat gebe. Eine hohe Beteiligung am Referendum könnte so interpretiert werden.

Ziel ist auf alle Fälle eine höhere Teilnahme als die 33 Prozent des Verfassungsreferendums der Muslimbrüder im Dezember 2012. Noch am Wahltag hat deshalb das staatliche Fernsehen die Werbetrommel gerührt und Ja-Spots ausgestrahlt. Die 64 Prozent Zustimmung zur unter dem im Juli abgesetzten Präsidenten Mohammed Morsi geschriebenen Verfassung werden auf alle Fälle übertroffen. Nur ganz vereinzelt wurde auf den Zetteln der blaue Kreis, das heißt ein Nein, angekreuzt. Die große Mehrheit der Parteien und Bewegungen - auch die erzkonservative salafistische al-Nur - hatten eine Ja-Parole ausgegeben und das nicht mit der Qualität des vorgeschlagenen Textes begründet, sondern mit der Notwendigkeit, für stabile Verhältnisse zu sorgen.

Tote bei Protesten

Trotz eines Anschlags am frühen Morgen gegen ein Gerichtsgebäude in Giza, bei dem nur Sachschaden entstand, war unter den Referendumsteilnehmern keine Angst zu spüren. Niemand ließ sich einschüchtern. Die Wahllokale waren von Polizei und Armee gut bewacht, zum Teil waren sogar Sandsäcke aufgetürmt worden. Helikopter kreisten in der Luft. Der Aufruf der Muslimbrüder zu Demonstrationen wurde an verschiedenen Orten im ganzen Land befolgt. "Die haben keine Bedeutung. Was sind schon ihre 5000 Demonstranten im Vergleich zu 90 Millionen Ägyptern", stellt Manar klar. Die Sicherheitskräfte griffen sofort mit aller Härte durch.

Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es vor allem im Süden, wo es allein in Sohag drei Tote gab. Neun weitere Tote gab es an anderen Orten. 28 Menschen wurden verletzt, teilte das Gesundheitsministerium am Abend in Kairo mit. Das US-Außenministerium kritisierte, dass die Gewalt nicht förderlich für den politischen Übergangsprozess in dem Land sei. Unabhängig vom Ausgang der Volksabstimmung sei es wichtig, ein "positives Umfeld für die Zivilgesellschaft zu schaffen".

Mit den Kundgebungen vermochten die Islamisten, die zu einem Boykott aufgerufen hatten, das Referendum aber nicht wirklich zu beeinträchtigen. Die Wahllokale sind für die fast 53 Millionen Stimmberechtigten auch am Mittwoch noch bis abends um neun Uhr geöffnet. (Astrid Frefel aus Kairo, red, DER STANDARD, 15.1.2014)