Die Zikadenart Celebenna thomarosa trägt deutlich sichtbar die bisher unbekannten länglichen Sinnesorgane beiderseits des Hinterleibs. Wozu die mit einer winzigen weißen Wachshaube versehenen Anhängsel dienen, ist noch unklar.

Foto: Current Biology/Museum für Naturkunde Berlin

Eine aktuelle Entdeckung beweist, dass die Evolution der Insekten immer noch so einige Überraschungen bereithält. Ein internationales Forscherteam hat bei einer Kleinzikadengruppe aus Südostasien an der Hinterleibsbasis ein bisher einzigartiges, hochkompliziert organisiertes Sinnesorgan gefunden. Die Existenz des Organs zeigt, dass offenbar aus alten genetischen Bausteinen neuartige Strukturen gebildet werden können, wenn der entsprechende Selektionsdruck gegeben ist.

Insekten sind die artenreichste Tierklasse der Erde. Etwa eine Million Arten sind bereits beschrieben, Schätzungen über die tatsächlich existierenden Arten rangieren zwischen 5 und 30 Millionen, einige Forscher vermuten sogar bis zu 100 Millionen Arten.

Konservativer Bauplan

Der Erwerb von Flügeln vor rund 300 Millionen Jahren gilt als eines der wichtigsten Schlüsselereignisse in der Evolution der Insekten. Trotz der enormen Vielfalt ist der Bauplan geflügelter Insekten erstaunlich konservativ: ein Kopf mit Mundwerkzeugen und Antennen, ein Bruststück mit 3 Beinpaaren und 2 Paar Flügeln, und ein mehr oder weniger zylindrischer Hinterleib. Durch den Besitz von Flügeln wurde das Vorhandensein von zusätzlichen Laufbeinen am Hinterleib offenbar überflüssig; sie sind vollständig reduziert, bzw. nur am Hinterende vorhanden und dienen der Fortpflanzung.

Das nun entdeckte Organ, das in doppelter Ausführung beiderseits der Abdomenbasis sitzt, dürfte aus diesen rudimentären  "Urbeinen" hervorgegangen sein. Anhand verschiedenster Methoden gelang es den Forschern, die Struktur des Organs zu entschlüsseln und in 3D virtuell zu rekonstruieren. Das auffällige, stäbchenförmige Sinnesorgan, das die Wissenschafter LASSO getauft haben (lateral abdominal sensory and secretory organ), trägt an seiner erweiterten Spitze ein weißes Wachshäubchen, unter welcher die sensorische Einheit verborgen ist.

Mögliches Frühwarnsystem für Räuber

Die Entdeckung des LASSO zeigt, dass offenbar aus alten genetischen Bausteinen neuartige Strukturen gebildet werden können, wenn der entsprechende Selektionsdruck gegeben ist. Um die Vorgänge zu verstehen, die zur Evolution dieser Neuheit geführt haben, ist es notwendig, seine Funktion zu entschlüsseln. Die Forscher vermuten, dass es sich beim LASSO um ein Frühwarnsystem gegenüber Räubern oder Parasiten oder Parasitoiden handeln könnte. Klarheit können nur Untersuchungen an lebenden Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum bringen.

In diesem Zusammenhang ist allerdings Eile geboten: die tropischen Regenwälder werden fast überall in Südostasien durch Urbanisierung und landwirtschaftliche Nutzung zurückgedrängt, und es besteht die Gefahr, dass viele Arten aussterben, bevor wir verstanden haben, welche Anpassungen die Evolution bei ihnen hervorgebracht hat. (red, derStandard.at, 14.1.2014)